23.01.2024

Briefe



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ID: 23241
Geschrieben am: Samstag 26.07.1879
 

Wildbad Gastein, den 26. Juli 1879.
bei Gruber.
Lieber Johannes,
meinen neulichen kurzen Zeilen sende ich heute noch einige nach, nachdem ich nun die Sonate mit Heermann probiert habe. Wir waren so erfreut darüber, daß wir uns ganz hinein vertieft haben. Wie wunderbar ist mir da wieder die innige Verschmelzung aller Motive erschienen. Wie zart klingt gleich im ersten Motiv die schwärmerische Begleitung des letzten Motivs [Noten]| [Note]. an, wie ist man schon gleich von der Stimmung des Ganzen wie angehaucht! Der Charakter der ganzen Sonate ist mir wahrhaft erquickend, die Anmut und Wärme der Melodien, die Meisterschaft der Behandlung aller Motive hält einem Herz und Geist von der ersten bis zur letzten Note gefangen. Welch himmlische Stellen sind darin, nicht wenig wonnevoll einige Orgelpunkte, dann die Steigerung im letzten Satz der ersten Melodie, wo sie das letztemal wiederkömmt und so auf und ab wogt, wehmütiglich, sehnsüchtig! Für solche Empfindungen gibt es eben nur Töne, nicht Worte. Einige Kleinigkeiten, die mir aufgefallen, teile ich Dir später mit, wenn Du es willst. Heute nur dies und neuen Dank zu vielem alten! Mancher mag es wohl besser verstehen, darüber zu sprechen, aber empfinden kann es keiner mehr als ich – die tiefsten, zartesten Saiten der Seele vibrieren mir bei solcher Musik! –
Es ist mir recht eine Entbehrung, kein Klavier zu haben, aber es ist hier unmöglich, und so muß ich es denn aushalten. Wir sind seit zwei Tagen hier und haben nach furchtbarem Reisewetter jetzt das schönste, herrlichste. Marie hat die Reise, trotzdem sie nur schrittweise gehen kann, gut überstanden, und fühlt sich alle Tage besser – der Arzt glaubt, es werde bald ganz gut sein. Sie hat in der ganzen Zeit (die Geduldsprobe wurde fast zur Prüfung) eine engelhafte Ergebung und Heiterkeit gezeigt, die ich im stillen bewundern mußte. Es war kein Spaß, acht Wochen im Bett zu liegen, ohne krank zu sein, wo der Körper nach Ruhe verlangt. Immer hat sie mich und Eugenie ermutigt, wenn wir traurig waren. . . .
Einen Brief von Härtel lege ich bei – was sagst Du dazu?
Leider ist Härtel nicht, wie ich glaubte, hier, man hätte mündlich besser über manches gesprochen. Ich hätte ihn auch gern über manches betreffs einer Brief-Herausgabe, durch biographische Notizen verbunden, gefragt, besonders, wie man sich mit einem Bearbeiter, also etwa Jansen, stellt? Ich lernte letzteren neulich in Hamburg kennen . . . Er hat mir vieles erzählt, was ich nicht wußte und mich sehr interessierte. Mit dem Kopieren habe ich begonnen und einige Hilfe dabei gefunden, aber solch ein Unternehmen wird immer schwieriger, je ernster man es anfaßt.
In Bonn ist noch nichts bestimmt. Joachim hatte ein Konzert vorgeschlagen, wo er Dein Konzert spielen wollte, ich sollte auch spielen, und von Sch. sollte das Requiem für Mignon!!! gemacht werden. Ich muß gestehen, daß mir diese Wahl unbegreiflich ist, um nicht härter mich auszudrücken. Ich sprach also mit den Herren darüber und sagte ihnen, ich halte bei der Gelegenheit nur ein Requiem am Platze, und zwar das Deine, von Dir selbst geleitet. Die Herren stimmten von Haus aus für ein Requiem, und da die Enthüllung erst Ende Oktober nach Joachims Vorschlag sein sollte, so wäre auch Zeit dazu, es einzustudieren. Die Herren sind aber dafür, ein Erinnerungskonzert dann im Winter zu geben, wo Joachim und ich unsere Mitwirkung (zu Donndorfs Bestem) versprochen. So kann es nun leicht sein, daß doch die Enthüllung wieder auf Anfang Oktober festgesetzt wird, und nur am Grabe gesungen wird. Sobald ich Genaueres weiß, erfährst Du es. Joachim war nicht zum Dirigieren, sondern nur zum Spielen aufgefordert. Donndorf hat den Preis des Denkmals so niedrig gestellt, daß man ihm noch ein Extra-Honorar zukommen lassen möchte.
. . . . Ich muß für heute schließen – wir wollen das schöne Wetter nützen!
Leb’ wohl, lieber Freund! Bleibe gut Deiner
alten
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wildbad Gastein
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Pörtschach
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1519-1522

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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