23.01.2024

Briefe



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ID: 23262
Geschrieben am: Samstag 07.08.1880
 

Schluderbach, den 7. Aug. 1880.
Lieber Johannes,
vor allem tausend Dank für die Schule – ich habe nicht geahndet, welche Mühe ich Dir damit aufbürdete, sehe es erst jetzt, wie genau Du sie durchsehen mußtest, um unseren Wunsch zu erfüllen. Ich möchte, ich könnte Dir auch einen Gefallen dafür tun! –
Einige Fragen hätte ich nun wohl noch, aber da wir doch die Absicht haben, einen oder zwei Tage nach Ischl zu kommen, so verspare ich mir und Dir diese bis auf mündlich. Du bist doch Ende August noch in Ischl? Wir wollen von hier aus für einen Tag nach Velten, wo Elisabeth Werner, die hierher kommen wollte, um mit uns zu sein, recht krank ist, gehen, um der Armen wenigstens diese kleine Freude zu machen.
Wir sind hier nun doch so nahe, daß es geradezu unfreundlich schiene, täten wir das nicht. Dann wollen wir nach Aussee für einen Tag, die Seeburg hat uns aufs dringendste eingeladen, aber natürlich schlug ich dies ab, und dann Ischl, wo wir Dich zu finden hoffen!? –
Ich lebe in großer Sorge um meinen nervenüberreizten Zustand, und bin oft ganz mutlos deshalb. Ich habe nämlich seit 3–4 Wochen immer Melodien im Kopfe, besonders des Nachts, und kann sie nicht loswerden, es ist nun schon besser geworden, aber ich habe doch ab und zu Nächte, wo ich kein Auge deshalb zutun kann. Natürlich mache ich gar keine Musik, obgleich wir ein Pianino hier haben, höre auch keine, es quält mich aber die furchtbare Sorge, wie das werden soll, wenn ich im Herbst den Unterricht wieder beginnen soll! – Nun, ich muß ja noch hoffen, mit der Zeit die Nerven wieder ganz zu kräftigen. Es war auch gar zu vieles, was die letzten Monate in Frankfurt auf mir lag! – –
Schließlich, lieber Johannes, komme ich nun doch wieder mit einer Anfrage, deren baldige Beantwortung mir sehr wichtig ist. Härtels schreiben mir in inliegendem Briefe in bezug auf die gleichen Bezeichnungen der Partituren und Stimmen. Volkland, der eben mit der Peri und Requiem für Mignon fertig geworden, ist der Ansicht, daß stets Partitur und Stimmen genau übereinstimmen müssen, und nun spricht sich der Woldemar gerade entgegengesetzt aus. Volkland sagt, man mache sich keinen Begriff, welcher Wirrwarr in Proben entstehen könne, wenn die Stimmen von der Partitur abwichen. Zweierlei Prinzip kann man doch unmöglich verfolgen, es handelt sich doch auch bei solch ’ner Ausgabe um möglichst korrekte Übereinstimmung. Ich kann doch nicht zugeben, daß einer (also hier Woldemar) seine Ansicht in einer Erklärung ausspricht! Ich bin doch für alles verantwortlich. Nun bitte ich Dich recht dringend, sage mir Deine Ansicht, und zwar recht bald, damit ich mit Woldemar ins reine komme. Du hast mir ja Deinen obersten Rat zugesagt, und dieser ist für mich maßgebend. Nun ist noch die Frage, soll man in den Stimmen verschärfte Bezeichnungen in die Partitur eintragen, wenn sie einem wichtig dünken? In der Praxis zeigt sich doch manches, was der Komponist, wenn er sein Werk aufführt, erst hört, er läßt dann in den Stimmen manches Zeichen machen, ohne dieses in die Partitur dann einzutragen. Bitte, liebster Johannes, hilf mir da heraus! – Natürlich wendet sich jede der Parteien an mich, und ich soll entscheiden.
Für heut’ leb’ denn wohl! Schreib dann bald, ob wir Dich finden, und über letzteres, und sei nochmals mit dem herzlichsten Dank von uns beiden gegrüßt.
Deine alte
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Schluderbach
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1585ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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