23.01.2024

Briefe



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ID: 23279
Geschrieben am: Sonntag 28.05.1882
 

Frankfurt a./M., den 28. Mai 1882.
Lieber Johannes,
fürerst einen Pfingstmorgengruß – auch noch von jemand anderem, und zwar Herzogenbergs, die Jena aufgegeben haben, weil Frau v. H. sich so wohl fühlte und eigentlich keine Kur brauchte, und dafür nun mich hier besuchen, was mir eine große Freude ist. Gestern sind sie angekommen. Wie lange wir sie behalten werden, weiß ich nicht, sie wollen nach Böhmen zu seinem Bruder, dann Graz etc. etc. . . . .
Ich lege Dir hier einen Brief von Härtels bei, denen ich geschrieben hatte, daß ich die befingerte und hie und da klarer bezeichnete Ausgabe der Werke Roberts übernehmen wolle. Sie hatten mich nämlich gefragt, wen ich wohl vorschlüge, und daß sie sie jedenfalls nur unter meiner Aufsicht machen lassen wollten. Ich dachte aber, wenn ich da doch jede Note nachsehen muß, und gewiß vieles nicht nach meinem Sinn ist, was ich dann ändere, so habe ich dieselbe Arbeit, und Ärger dabei, und sagte ihnen daher, ich wolle es selbst tun; und . . . . Bitte, sage mir Deine Meinung, die Mühen mit solchen Sachen sind ja immer viel größer, als man vorher denkt. Dann ist noch ein anderer Punkt, über den ich gar nicht mit Härtels übereinstimme, nämlich die Art der Ausgabe. Härtels scheinen die Bülow-Ausgaben dabei im Sinne zu haben, was mir, an und für sich, schon verhaßt ist, aber zu Schumannschen Werken ganz unzulässig scheint – oder irre ich? Ich dachte auch nicht über jede Note einen Finger zu setzen, sondern nur bei besonderen Stellen, die besonderer Finger bedürfen, um die beabsichtigte Wirkung hervorzubringen. Sind vielleicht meine Ansichten falsch? sage es mir bitte, ob und wie ich die Sache übernehmen soll? Welche Ausgabe als Anhalt für mich, wie Härtels vorschlagen, sollte ich wohl nehmen? – Du kennst doch wohl alle?
Nun bist Du wieder in dem herrlichen Ischl, und wie muß es bei dem himmlischen Wetter jetzt da sein! Die Feiertage machst Du gewiß schöne Ausflüge! Nur einmal möchte ich den Weg von Ischl nach Gmunden wieder machen, das war doch entzückend.
Ich gehe nun doch wieder nach Gastein, und zwar Mitte Juli – was nachher, ist noch ganz unbestimmt! Vielleicht wieder Ampezzotal, im Herbst dann an die italienischen Seen, wenn unsere Kasse es erlaubt, da ich große Reparaturen im Haus zu machen habe, das seit 8 Tagen das meinige ist. Wir haben schlimme Zeit durchlebt, konnten uns keinen Abend zur Ruhe begeben, ohne die Furcht, anderen Tages gekündigt zu werden, da unser Wirt das Haus verkaufen wollte, und Makler und Reflektanten uns beunruhigten. Nach langem Hin und Her, Suchen nach anderer Wohnung, wo wir aber nichts für uns Passendes fanden, entschloß ich mich denn, es zu kaufen. Es ist doch wahrlich zu traurig in meinem Alter, noch alle paar Jahre von einem Hause ins andere ziehen zu müssen.
Bei dieser Gelegenheit fielen aber Dinge vor, die ich Dir ’mal erzählen muß, wobei wir dann noch die Schuld unseres Wirtes, der das Haus zweimal (an mich und an einen anderen) verkauft hatte, mit Geld büßen mußten, wenn ich das Haus überhaupt haben wollte. Ich hatte einen guten Advokaten, aber die Aufregung war doch groß.
Nun schließe ich aber mit unser aller herzlichsten Grüßen, die der lieben Gäste eingeschlossen, und bin wie immer
Deine getreue
Clara.
Die Lieder habe ich noch nicht erhalten.
Raff hat seinen 60. Geburtstag gefeiert, ist aber eigentlich sehr krank.
Frau v. H. schreibt Dir nächster Tage auf Deine Anfrage, sie kam früher nicht dazu.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1660-1663

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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