23.01.2024

Briefe



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ID: 23280
Geschrieben am: Samstag 24.06.1882
 

Frankfurt a./M., den 24. Juni 1882.
Lieber Johannes,
ich konnte Dir so lange nicht antworten und danken, weil wir in einer unglaublichen Unruhe und einem förmlichen häuslichen Chaos gesteckt haben. Die Arbeiter im Haus, aller Art, Schreiner, Maurer, Anstreicher u. a., ließen einem auch nicht ein Fleckchen, wo man hätte ungestört sitzen können. Ein Gerüst von unten bis oben um das Haus herum bietet einen so greulichen Anblick, beschäftigte dabei meine Phantasie, läßt Diebe nachts hereinsteigen, Arbeiter von oben herabstürzen etc. etc., daß man kaum zu einem freundlichen Gedanken kommt. Im Hause wird es aber nun besser, und ich hoffe, daß wir bald so weit sind, fortzukönnen. Wir wollen am 10. Juli nach Gastein abreisen – ich wäre gern darum herum gekommen, aber es hat mir doch immer in seinen Folgen gut getan, und da hält man es denn für seine Pflicht, immer wieder zu gebrauchen.
Deinem Rate, einmal ein Stück Carnaval zu bezeichnen, folge ich jetzt, habe Härtels noch nicht wieder geantwortet. Aber, ganz verstehe ich Dich doch nicht. Du hast mich früher und kürzlich doch wieder darauf aufmerksam gemacht, daß Härtels ehestens eine instruktive Ausgabe veranstalten würden, rätst mir aber davon ab, es selbst zu tun, und noch mehr, es selbst zu beaufsichtigen. Will ich nun keines von beiden, was habe ich dann mit so einer Ausgabe noch zu tun? Wovor warntest Du mich dann? Bitte, erkläre Dich mir darin etwas deutlicher. – Du weißt, lieber Johannes, daß ich zuweilen etwas duselig bin. Wenn ich mit dem Carnaval fertig bin (sehr viel befingern war nie meine Absicht, nur wo es von Wichtigkeit ist), schicke ich ihn Dir einmal zur Ansicht und erbitte mir dann die Deinige. Wenn Härtels von Vorlagen sprachen, so meinten sie wahrscheinlich, ich sollte eine Ausgabe in der Art wie Stark oder Bülow machen, was mir aber gar nicht einfällt. Mache ich sie, so geschieht es nach meinem Sinne. In solcher Weise ein Stück zu analysieren, wie dieser es getan, ist mir geradezu widerwärtig, das macht jedem nur einigermaßen fühlenden und denkenden Spieler das Werk ungenießbar, und nun gar Schumann!
. . . . Du hast einige schlimme Wochen in Ischl zu Anfang gehabt, ich dachte immer mit Leid daran, aber nun ist es ja herrlich. Ich wundere mich aber doch, daß Du Dir nicht einmal etwas höhere Luft aussuchst! Das wäre Dir doch gewiß auch zuträglicher, wenn Du es auch, Gott sei Dank, nicht gerade brauchst!
In der Schule sind jetzt große Bewegungen wegen der Prüfungen. Ich glaube, unsere Schülerinnen werden ihre Sache gut machen, aber in den mittleren Klassen sollen die Leistungen in den ersten Prüfungstagen unbeschreiblich gewesen sein. Die Herrn vom Komitee möchten so gern vieles in den Statuten nach den Wüllnerschen sehr vortrefflichen ändern, aber, mit Raff ist nichts anzufangen, und dazu ist er eigentlich gefährlich krank, und die Herren fürchten die Folgen für ihn, wenn sie energisch aufträten. Das ist schlimm! –
Ich schreibe im Garten, möchte, Du sähest das Gärtchen ’mal jetzt mit all den jungen in die Höhe schießenden Bäumchen und den vielen Rosen! Es ist ein lieblicher Anblick. Ich möchte wohl ’mal in Deine Werkstatt lauschen können – was da wohl vorgeht? Ich denke mir, daß Du die begonnenen Trios vollendest!?
Ich schreibe noch ’mal, bevor wir Frankfurt verlassen, dann meine Adresse in Gastein.
Leb’ wohl und vergnügt, und sei von Herzen gegrüßt
von Deiner
Clara.
Marie und Eugenie grüßen ebenfalls schönstens.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1664ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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