23.01.2024

Briefe



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ID: 23311
Geschrieben am: Freitag 14.05.1886
 

Frankfurt, den 14. Mai 1886.
Lieber Johannes,
heute ein Wort über Deine schönen Lieder. Sie haben mir viele Freude gemacht, obgleich ich sie nicht gehört, nur lesen konnte, da Fillu von einer großen Erkältung heimgesucht ist. In Op. 96 sind mir alle Lieder lieb, das zweite finde ich besonders fein und innig (der Übergang vom Moll in das Dur entzückend). Dann das dritte, wie bewegt es einen, und wie es am Schluß so hoffnungslos erlischt! Das vierte wunderbar in seinen wuchtigen Harmonien! –
In Op. 97 ist mir das erste ganz besonders lieb, es ist ganz originell, wie wunderbar ins Herz dringend der Nachtigallenton – eine Perle an Poesie. Musikalisch liebe ich auch die Entführung, aber der Text spricht mich nicht an. So hab’ denn Dank für diese neue Gabe. – Jetzt noch einige Prosa: Darf ich Dir wohl jetzt ’mal die Schumann-Ausgabe, soweit ich sie habe, schicken? Sie sammelt sich so an bei mir und muß doch eher oder später zu Dir. Dann wolltest Du zwei Opern, Echo und Narziß, aber was war die andere? Das hab’ ich vergessen.
Mir die Briefe zu schicken, solltest Du Dich doch entschließen, und wäre es nur, daß ich sie einmal durchsähe! Ich könnte ja dann manche vernichten und andere noch aufbewahren. Bitte, entschließe Dich. Du mußt doch immer bedenken, daß es eine andere Sache mit Deinen Briefen ist, die, stürbe ich, doch immer in besten, sorgsamsten Händen wären.
Nun habe ich noch eine große Bitte. Ich schicke Dir unter Kreuzband, aber rekommandiert, die 2 Ausgaben der Symphonischen Etüden, in denen Eugenie neulich etwas sehr Auffallendes entdeckt hat. Nämlich in der 2. Ausgabe kommt nach Var. II Etüde III und nach Var. VII Etüde IX und dann Var. VIII.
Ich vermute, daß es eine Laune meines Mannes war, diese beiden, die ganz abweichen von dem Thema, als Etüden zu bezeichnen – war meinst Du?
Bist Du meiner Ansicht, so wäre wohl eine Anmerkung darauf bezüglich nötig, und ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du sie mit wenig Worten abfaßtest. Ich habe nicht recht den Mut, statt Etüden „Variationen“ zu setzen!? – Ich muß Dich bitten, sie mir rekommandiert zurückzuschicken, da der Verlust sehr unangenehm wäre.
Wir haben jetzt große Prüfungsunruhen, Konzert über Konzert!
Die Symphonie habe ich noch nicht erhalten – freue mich sehr darauf. Kommt sie nicht auch 4händig? (Eugenie).
Nun leb’ wohl, und antworte mir recht bald, auch sage mir, wann Du Wien verläßt, und wohin Du gehst. Ich werde wohl in ein Bad vor Obersalzberg müssen. Zu meiner Beruhigung hat mir der Arzt gesagt, daß ich kein organisches Leiden habe – es ist alles nervös etc. etc.
Mit herzlichsten Grüßen
Deine alte
Clara.
P. S. Die Etüden kommen nächster Tage – solltest Du Wien verlassen, so sende mir gleich eine Postkarte, dann schicke ich sie Dir dahin, wo Du bist. Ich will mit der Absendung warten bis Dienstag.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1739-1743

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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