23.01.2024

Briefe



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ID: 23327
Geschrieben am: Donnerstag 25.08.1887
 

Obersalzberg bei B.
D. 25. Aug. 1887.
Lieber Johannes,
eine Arbeit, der ich alle meine Schreibekräffte zuwandte (Tagebuch seit lange nachzuholen), verhinderte mich, Dir <früher> zu schreiben, was ich so gern früher gethan hätte, um Dir zu sagen, wie die Aussichten, welche Du uns eröffnest, mich erfreuen. Wunderbar, und wohl nie dagewesen (?) ist |2–8| diese Zusammenstellung! Mit Joachim, der mich neulich besuchte, sprach ich viel davon, und riesig freuen wir uns auf das Werk. Ich denke, wer solche Symphonien geschrieben, solche Sonaten für Violine und Violoncell, der kennt die Instrumente bis in ihre feinste Charakteristik, entlockt ihnen ungeahnte Klänge!
Ich hoffe, Joachim schlägt das Werk im Museum, wo er für November engagiert ist, vor, und Hausmann kömmt dann von Berlin. Er hat dies in Absicht und will mir bald darüber schreiben.
Wir schwelgen jetzt, nach einigen entsetzlichen Tagen, wieder im wunderbarsten Wetter. Leider nur bin ich, trotz leidlichen Befindens, immer auf kleine Spaziergänge nur beschränkt. Du hältst mich für kräftiger, als ich bin – ich möchte, es wäre so! Bekannte haben wir schon viele hier oben gesehen, und besonders freut mich, daß Julius O. Grimm in Berchtesgaden mit seiner Tochter ist, während seine Frau die Kur in Tölz gebraucht, – diesen sehen wir öfters oben. Frl. Wendt ist leider fort – es war recht gemütlich mit ihr und ihrer Freundin; sie kamen jeden Abend mit einem Laternchen aus ihrer 10 Minuten entfernt liegenden Pension zu uns nach dem Abendbrot, und da spielten wir Whist und plauderten.
Herzogenbergs sahen wir, ehe wir heraufkamen, fanden ihn fest liegend. Jetzt sind sie in der Heilanstalt, von der sie Genesung hoffen. Eine harte Prüfung ist diese Krankheit, aber ich gebe den Mut noch nicht auf, er ist doch noch ein rüstiger Mann und war stets gesund. Bald sehe ich sie, werde sie von München aus besuchen.
In Franks Hause wohnen Freunde von ihm – ich hörte aber vom Verkauf des Hauses reden. Frau Franz sehe ich auch zuweilen hier oben, sie ist immer die liebenswürdige, anhängliche Freundin, und ihre Kinder reizend erzogen, anmutig und bescheiden.
Noch wissen wir nicht genau, wann wir fortgehen, es hängt mit vom Wetter ab, ich denke aber, daß wir vom 5. September ab in Baden-Baden sein werden, diesmal aber der Feuchtigkeit halber nicht in Lichtenthal, sondern in der Stadt wohnen wollen. Wieder das Wetter wird uns bestimmen, ob wir dort bis gegen Ende September bleiben. Ich hoffe es sehr. – Von Eugenie hatten wir recht gute Nachrichtet aus Mayens, mit dem Ferdinand steht es noch sehr schlecht, ich hoffe wenig, mit seinen zwei ältesten Jungen haben wir aber, glaube ich, das Rechte in Schneeberg gefunden. Sie genießen die Vorzüge einer kleinen Stadt, Wald und Wiesen und Garten, eigne Beete darin, Teich, in welchem sie täglich schwimmen, Partien etc., und schreiben ganz selige Briefe. Ich glaube, Ferdinand selbst kann sich noch nicht zufrieden geben, daß seine Söhne nicht in Berlin erzogen werden sollen – er ist aber bedrückt und krank dazu u. unsäglich unglücklich mit der Frau – das bringt wohl einen Menschen herunter.
Eine freudige Überraschung wurde mir durch Gade, der mir eine reizende Photographie von sich mit einem lieben Briefe sandte, der mich ganz in längst vergangene Zeiten versetzte, voller Herzlichkeit war.
Mein Arm mahnt recht unsanft – ich muß schließen. Genieße den Herbst noch recht, und laß bald ’mal wieder von Dir hören
Deine alte
Clara.
Wenn Du nach Wien zurückkehrst, schicke mir, bitte, die Variationen an meine Adresse in Frankfurt.
Laß mich auch dann meine Schuld erfahren.
Marie grüßt schönstens.
[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Hofstetten bei Thun.
(Schweiz.)







"Lieber Johannes,... Wunderbar, und wohl nie dagewesen (?) ist diese Zusammenstellung! mit Joachim, der mich neulich besuchte, sprach ich viel davon, und riesig freuen wir uns auf das Werk. Ich denke, wer solche Symphonien geschrieben, solche Sonaten für Viol{ine} und Violoncell, der kennt die Instrumente bis in ihre feinste Characteristik, entlockt ihnen ungeahnte Klänge! - Ich hoffe, Joachim schlägt das Werk im Museum, wo er f{ür} Nov: engagirt ist, vor, und Hausmann kommt dann von Berlin..."
J.A. Stargardt, Berlin, 1994, Kat. 657, Nr. 220, S. 126 (gekürzt)






"...eine Arbeit, der ich alle meine Schreibekräffte zuwandte (Tagebuch seit lange nachzuholen) verhinderte mich Dir zu schreiben, was ich so gern früher gethan hätte, um Dir zu sagen, wie die Aussichten, welche Du uns eröffnest, mich erfreuen."
"Wunderbar, und wohl nie dagewesen (?) ist diese Zusammenstellung! mit Joachim, der mich neulich besuchte, sprach ich viel davon, und riesig freuen wir uns auf das Werk!
Ich denke, wer solche Symphonien geschrieben, solche Sonaten für Viol[ine] u: Violoncell, der kennt die Instrumente bis in ihre feinste Characteristik, entlockte ihnen ungeahnte Klänge! - ..."
"...mit dem Ferdinand geht es noch sehr schlecht, ich hoffe wenig, mit seinen zwei ältesten Jungen haben wir aber ... das Rechte in Schneeberg gefunden ... Ferd[inand] selbst kann sich noch nicht zufrieden geben, daß seine Söhne nicht in Berlin erzogen werden sollen - er ist eben beschränkt, und krank dazu u. unsäglich unglücklich mit der Frau - das bringt wohl einen Menschen herunter."
"Deine alte Clara"
[Kat. J.A. Stargardt Nr. 563: 28./29.05.1963, S. 124, Los 595 (gek.)]




















  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Vordereck/Obersalzberg
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Thun
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1781-1785

  Standort/Quelle:*) unbekannt; Faks. S. 1 in D-Zsch; Umschlag: A-Wst: 55746,58b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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