23.01.2024

Briefe



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ID: 23369
Geschrieben am: Donnerstag 29.01.1891
 

Frankfurt, a./M., den 29. Januar 1891.
Lieber Johannes,
noch habe ich Dir nicht gedankt für Deinen lieben Gruß vom Neujahrsmorgen! Nimm es mir nicht übel, gedacht habe ich so oft Deiner und dieses letzten Briefes, aber es lastete so viel auf mir und tut es zum Teil noch, daß ich mir oft gar nicht zu helfen weiß. So nimm denn den verspäteten, aber warmen mit mir herumgetragenen Dank auch jetzt noch mit freundlichem Blicke an. . . .
Mit herzlicher Freude habe ich gehört, wie schön es in Pest war! Alle hörten sie Dein Quintett, nur ich nicht! Das ist mir hart, und ich möchte wohl ein Klagelied anstellen, wenn’s nur etwas hülfe. Wir sind hier doch recht arm! Nun hätten wir den Maszkowski herbekommen können, da fackeln sie so lange, bis dieser sich anders besinnt. Jetzt sitzen wir da! Da hätten wir nun ’mal ein [sic] frische Kraft herbekommen, die uns ja so furchtbar nötig ist, und wer weiß, was nun wird! – Ich habe gar keine musikalischen Freuden mehr, als, ab und zu, durch meine Schüler. Da komme ich denn gleich auf Borwick, den ich jetzt endlich dazu kriege, daß er nach Wien geht, trotzdem Richter ihm nicht antwortet. Richter hat ihm versprochen, er solle Dein D moll-Konzert in einem seiner Konzerte spielen, und nun hört Borwick nichts. Du weißt, ich belästige Dich nicht gern mit Empfehlungs-Briefen, aber für Borwick bitte ich Dich sehr um Deinen Schutz. Du kennst ihn ja, an Deinem Konzerte, wie er es spielt, wirst Du doch etwas Freude haben. Bitte, mache ihn mit Hanslick bekannt, das ist so wichtig für ihn, dann mit Fellingers und Anna Franz. Willst Du so freundlich sein? Und willst Du ihm auch Deinen Rat erteilen? Du kennst doch die Verhältnisse dort so genau. Von irgend welcher Klugheit im Verkehr mit Menschen hat B. noch gar wenig, darum sind ihm ratende Freunde doppelt nötig.
Werden wir Dich denn nicht einmal hier sehen? Wäre doch das Quintett ein Klavier-Quintett, dann hätten wir mehr Hoffnung. Bitte, laß es mir ja gleich von Simrock schicken, wenn es fertig ist – ich las es angekündigt!?
Von unserem Leben gibt es nicht viel zu sagen, wir sind so weit gesund, aber es ist nicht alles, wie es sein sollte, und ich habe recht viel Kummer, auch trage ich schwer am Alter, das den Verhältnissen nicht mehr die frühere Elastizität entgegensetzt. Gott sei Dank, spielen kann ich noch, habe aber doch fast gar keine Anregung hier. Aufforderungen zu Konzerten kommen mir fortwährend von auswärts, aber das ist es nicht, was ich brauche, ich müßte am Orte selbst anregenden musikalischen Umgang haben, und das kann wohl kaum irgendwo mehr fehlen als hier! –
Der Tod der beiden alten Freunde, Gade und Verhulst, hat mich tief betrübt und schwer gemahnt! – Doch genug, lieber Johannes, sei mir gut und bleib es
Deiner
altgetreuen
Clara.
Die Töchter grüßen, Sommerhoffs gehen nach Cannes für 3–4 Monate – könnte ich!

[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Wien IV
4 Karlsgasse.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1982ff.

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,14b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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