23.01.2024

Briefe



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ID: 23392
Geschrieben am: Freitag 30.12.1892
 

Frankfurt a./M., den 30. Dezember 1892.
Lieber Johannes,
das war ’mal ein zarter Weihnachtsgruß von Dir, und ich hätte Dir gern gleich gesagt, wie Du mich damit erfreut hast, aber ich bin wahrhaft überbürdet jetzt, und habe zu wenig Kräfte dafür. Mit wahrhaft wohliger Empfindung habe ich Deine Träumereien über die Variationen gelesen. Du hast so reizend ausgesprochen, was ich so oft dabei empfunden – oft auch habe ich über die schöne „Einförmigkeit“ nachgedacht, wie doch die Variationen so das Herz erquickend auf einen wirken. – Wir wollen sie nur ja in der ursprünglichen Gestalt drucken lassen, ich freue mich sehr, sie so zu sehen, und es ist mir ganz genug, daß Du dafür gestimmt.
Den Weihnachtsabend haben wir still zu Hause zugebracht; wir hatten Eugenie gesund und befriedigt bei uns, das war unser schönstes Geschenk. Du warest wohl bei Fellingers?
Eine Bitte habe ich heute: Ein Herr Shakespeare und Frau aus London, sehr liebe Menschen, und durch und durch musikalisch, gehen nach Wien, und ihr größter Wunsch ist, Dich kennen zu lernen. Er ist der erste Gesangslehrer in London, aber auch Klavierspieler, seine Tochter ist seit längerer Zeit schon Mariens Schülerin – auch selten begabt. Ich kann es ihnen nicht abschlagen und glaube aber auch zu meiner Beruhigung, daß Du bald die warmherzigen Anhänger an Dich herausfühlen wirst. Sie bleiben nur 3–4 Tage. Ich möchte sie auch der Anna Franz empfehlen, damit sie in Wien auch in einer Familie Aufnahme finden.
Ich habe viele Dank-Schulden, daher muß ich schließen. Zum neuen Jahr senden wir Dir unsere wärmsten Wünsche – möchte es – doch, ich schließe, denn zuweilen verstummt auch der Mund, wo das Herz voll ist.
In Treue Deine
Clara.
Eugenie legt einige bittende Zeilen bei.

[Beilage – Brief Eugenie Schumanns]

Myliusstraße, 32, Frankfurt a. M. Dec. 30. 92.
Lieber, verehrter Herr Brahms.
Ich komme heute mit einer recht unbescheidenen Bitte zu Ihnen, doch sagt Mama, ich dürfe sie wohl wagen. – Sie wissen vielleicht, dass ich mich im Herbste in London niedergelassen habe und dort lehrend tätig bin. Ich bin dadurch des Antheils an den Schätzen unseres Hauses verlustig gegangen und muss trachten, sie mir zu ersetzen. Der grösste, neueste Schatz sind augenblicklich Ihre herrlichen Stücke, täglich spielt mir Mama daraus vor und beglückt mich nicht allein durch die wunderbare Tiefe und Originalität dieser Schöpfungen, sondern auch durch die leidenschaftliche Innigkeit, mit welcher sie sich in dieselben versenkt und in Ihren Geist eindringt. Mama hat sich an diesen Stücken verjüngt und physische Kraft und Elasticität des Geistes und Gemüthes, welche im vorigen Winter gebrochen schienen, sind ihr damit zurückgekehrt.
Gestern Abend spielte sie fünf Stücke Stockhausen und Mr. und Mrs. Shakespeare aus London vor und versetzte sie und uns in die grösste Begeisterung. –
Herr Simrock war sonst immer so freundlich Mamma 2 Exemplare Ihrer neuen Compositionen zu schicken; dies Mal jedoch sandte er nur Eines und nun kommt meine Bitte, ob Sie wohl die Güte hätten ihm ein Wort zu schreiben, damit er mir auch Eines schenke. Ich wäre Ihnen von Herzen dankbar dafür, möchte mich mit meinen schwachen Kräften soviel wie möglich mit diesen Compositionen vertraut machen.
Nehmen Sie zum Schluss die herzlichen Wünsche zum neuen Jahre von Ihrer stets ergebenen
Eugenie Schumann

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2089ff.

  Standort/Quelle:*) Briefteil Eugenie Schumanns: Abschrift D-Zsch: 11499–A2.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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