23.01.2024

Briefe



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ID: 23398
Geschrieben am: Donnerstag 10.08.1893
 

Interlaken, den 10. August 1893.
Hotel Ober.
Lieber Johannes,
nun endlich gelang es mir, Dein wunderbar originelles Stück kennen zu lernen, freilich immerhin nur mangelhaft, denn, immer gestört durch das fürchterliche Musizieren im Kopfe, brauche ich lange Zeit, bis ich komplizierte Harmonien und Fortschreitungen verstehe. Ich muß das Stück erst ’mal ordentlich studieren, bis ich alles richtig höre. Du begreifst den Zustand wohl nicht, und wie schwer zu tragen er ist, wie tief traurig es mich macht, wenn ich gehindert bin, zu genießen, was mir sonst leicht war, allerdings aber, habe ich erst ’mal alles klar erfaßt, dann genieße ich auch, und das sehr wunderbare Stück wird das erste sein, was ich wieder studiere, wenn ich ein Instrument habe, was ja im Sommer nie mehr der Fall ist, da ich mich dann ganz der Musik enthalten soll! Auch selbst wenn wir angestrengte Versuche machen, z. B. hier, ein Instrument zu erlangen, so gelingt es doch nicht. Marie und Eugenie gehen täglich 1–2 Stunden zum Schullehrer, wo ein kleines ungestimmtes Pianino steht. – Nun wieder auf das Allegro zu kommen, wie kräftig ist schon das erste Motiv, durch die 5 taktigen Phrasen so originell, wohl ungarisch! – Merkwürdig, sonst geniert mich die 5 taktige Einteilung, hier aber gar nicht – es muß so sein! Dann wieder wie merkwürdig die 3 und 2 Takte! Recht schwer ist das Stück, besonders die Sechzehntelstellen. Das As-Dur reizend, dann wieder die Triolenstelle, kein Takt, der einen nicht vollständig hinnimmt. Doch, ich muß das Stück studiert haben, um es ganz zu erfassen, darauf freue ich mich wahrhaft. Hab’ nochmals Dank, lieber Komponist.
Hier ist es nun wieder himmlisch! Das Wetter wundervoll, die Jungfrau zauberhaft zu allen Tageszeiten, wir sahen sie auch einmal im Alpenglühen. Nächster Tage erwarten wir für einige Wochen Frl. Wendt, er ist wohl jetzt bei Dir? Grüße ihn von mir, bitte.
Ich denke, wenn wir zurückreisen, über Bern zu gehen und Herrn Widmann, der mich sehr freundlich eingeladen hat, zu besuchen, wenn nicht etwa die Rückreise über den Brünig geht und wir noch 8 Tage in Luzern bleiben, was freilich auch sehr verlockend ist. . . .
Jetzt aber schließe ich und bitte Dich ’mal wieder um ein Wort, wie es Dir geht etc. etc. Marie und Eugenie grüßen herzlichst mit mir,
Deine alte
Clara.
An Ilona einen Gruß.

[Umschlag]
Herrn
Dr Joh. Brahms.
Bad Ischl.
Ober-Oesterreich.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Interlaken
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2135ff.

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,8a
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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