23.01.2024

Briefe



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ID: 23407
Geschrieben am: Mittwoch 04.07.1894
 

Interlaken, den 4. Juli 1894.
Châlet Sterchi.
Lieber Johannes,
lange habe ich Dein liebes Schreiben, und erst jetzt komme ich dazu, Dir dafür zu danken. Wir sind nun vollständig eingerichtet, und war es auch für Marie mühsam, bis die Wirtschaft im Gange war, so hatten wir doch keineswegs über Unfreundlichkeit der Leute zu klagen. Wir haben eine nette kleine Etage, einen Balkon, auf dem wir, da er recht geräumig, fast leben. Beim Frühstück besonders erfreuen wir uns immer schon des Anblicks der Jungfrau. Ein Klavier haben wir auch, gestern endlich trieben wir einen Stimmer von Bern auf, für 20 Frs!!! Nun kann es aber losgehn mit den Liedern, wenn Du sie mir schicken willst unter obiger Adresse. Ich schreibe etwas mühsam, weil auf dem Rugen, mitten im Walde, wohin ich jeden Vormittag gehe, und dort wegen zeitweiliger Feuchtigkeit des Bodens bis Mittag in meinem Rollstuhl sitze, schreibe und lese. Hätte ich doch etwas von beschaulicher Natur in mir, die gehört zum Alter, leider kann ich dazu noch nicht gelangen, habe immer noch zu viel Leben in mir, und bin doch oft so müde des Lebens! Ach, ich erschrecke, will Dir ja kein Klagelied senden, aber, hat man so wenig zu erzählen, so kommt man auf Unnützes. Wir haben Julie und Ferdinand mit hier, letzteren, damit er das Musikstudium, kaum begonnen, nicht gleich wieder unterbreche, und so übt er denn auch in seinem Dachstübchen auf einem sehr jämmerlichen Pianino, das hier im Hause war (ich mietete es für ihn), fleißig; das könnte man im Hotel doch nicht. Marie gibt ihm täglich Stunde, Klavier, Theorie, beiden Kindern Französisch etc. . . . .
Er turnt täglich, lernt im See schwimmen, was sich alles sehr leicht hier machen ließ, und von 5–8 wird täglich spazieren gelaufen, zuweilen auch gibt es große Tagpartien! In 3 Wochen kommt Eugenie, dann geht Julie zu ihrer Mutter. Eugenien geht es in London sehr gut, und merkwürdigerweise befestigt sich ihre Gesundheit zusehends. In Basel habe ich dem Beethoven-Fest beigewohnt, freilich gehört fast nichts, aber doch den großartigen Eindruck des Ganzen im Münster gehabt, der sich nicht verwischt. Es soll alles wundervoll gegangen sein, und das Violin-Konzert ganz wie verklärt gewesen sein – das Leiseste soll man ganz deutlich gehört haben. Joachim selbst aber machte mir einen tiefbekümmerten Eindruck, und Frau von Beulwitz, die von Berlin mitgekommen war, sagte mir, er sei ganz außer sich, daß seine Frau wieder nach Berlin ziehe und eine Wohnung genommen habe, an der er täglich einmal vorüber müsse . . . .
Nun aber bitte ich noch ’mal herzlichst um die Lieder und ein freundlich Wort dazu. Leb’ wohl, und genieße recht, wie Du es so gut kannst! Das ist auch eine herrliche Gabe, die Dir der Himmel zu vielen anderen gewährt.
Marie grüßt sehr – sie ist glücklich hier in unserem gemütlichen „home“. In treuer Freundschaft
Deine
Clara.

[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Bad Ischl
(Oesterreich.)

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Interlaken
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2190ff.

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,44a
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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