Interlaken d. 27 Aug. 1894 Châlet Sterchi.
Liebste Frau Scholz,
ich schreibe gleich wieder nach Empfang Ihres Schreibens vom 25ten, bin so erregt, gäbe etwas darum, könnte ich mit Ihnen sprechen! <i>Ich bitte Sie inständigst, geben Sie in der Sache mit Carlo nach. Nach den Gesetzen erhält der Vater bei der Scheidung die Knaben, klagen Sie nun, was Sie ja doch nun durchaus thun müssen, so werden bei der Scheidung die Knaben dem Vater zugesprochen, denn verlieren Sie auch den Willy, und die liebe kleine Betsy ihren Bruder. Denken Sie, wie traurig! werden Sie sich dann nicht Vorwürfe machen, daß Sie, trotz allen Zuredens Ihrer Freunde, (die doch gewiß das Herz haben mit Ihnen zu fühlen, die aber voraussehen wie es ausgehen muß, beharren Sie) doch auf Ihrer Forderung bestanden, und Ihr Töchterchen des Bruders beraubten? Bedenken Sie, daß bei einer Scheidung, wo Kinder sind, die Mutter immer im Nachtheil steht, ja, die härtesten Kämpfe besteht, u. schließlich Etwas doch aufgeben muß. Bedenken Sie, daß Carlo doch im 14–15t Jahre wahrscheinlich von Ihnen fort käme, denn Frauen allein können Knaben nicht erziehen, auch Henni nicht! – Ein Vorwurf kann Sie von keiner Seite treffen, hier muß Vernunft und Pflicht für Betsy u Willy den Kampf des Herzens <bestehen> bewältigen, Sie machen sonst sich u. die Kinder unsäglich unglücklich! – Verschieben Sie doch ja auch die Scheidung nicht länger, sonst kommt es nie dazu und, Sie müssen doch ’mal endlich wieder ruhig werden. Die Kinder, Betsy u Willy leiden auch zu sehr unter diesen traurigen Umständen, es muß einem ja das Herz bluten, sieht man wie das arme Kind, die Betsy, herumgezogen wird, um des Bruders halber! –
Möchten Sie doch nachgeben, liebe, beste Frau. Thuen Sie es, ich bin überzeugt, Sie bekommen Carlo doch nicht – was dann, wenn Sie Ihre Kräfte aufgezehrt haben? Verzeihen Sie, wenn ich hier ungenirt zu Ihnen spreche wie eine Mutter zur Tochter. Uns geht es gut, noch einen Monat, dann rücken wir wieder zu Hause ein. Sie wieder zu sehen u. sprechen, sehne ich mich wahrhaft.
In treuester Freundschaft
Ihre
Clara Schumann
Die Töchter grüßen sehr, und bitten mit mir.