23.01.2024

Briefe



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ID: 25223
Geschrieben am: Samstag 01.05.1858
 

Berlin d. 1 Mai 1858.
Meine theuere Emilie,
immer schon wollte ich Dir schreiben, bin aber seit 14 Tagen mit einer abscheulichen Grippe geplagt, gegen die ich ich [sic] mich lange gewehrt, aber doch endlich erlegen bin. Seit drei Wochen bin ich wieder hier, kann aber von häuslichem Behagen wenig sprechen, denn ich habe gerade im Hause den größten Aerger, da Alles auf mir ruht. Marie macht mir den tiefsten Kummer, denn trotz aller Liebe mit der ich sie behandle, kann ich sie nicht im geringsten ändern; ihre Unordnung geht in’s unglaubliche, so daß ich, will ich Ordnung haben, Alles selbst machen muß, und dabei mich natürlich fürchterlich kränke. Sie sieht mich oft in Thränen über sie, glaubst Du aber sie käme ein einziges |2| Mal, und bäte mich, ihr nicht zu zürnen, verspräche sich zusammenzunehmen? nie. Was soll man nun davon denken? – Es kann natürlich so nicht bleiben, und so habe ich denn ein sehr gebildetes, ganz ausgezeichnetes Mädchen in meinem Alter, engagirt, die nun mit ihr in Freundschaft versuchen will, was Mutterliebe nicht vermag. An dem Mädchen, das schon seit 18 Jahren an mir hängt, ohne daß ich es wußte, habe ich eine höchst glückliche Acquisition gemacht; sie ist häuslich, ökonomisch, energisch und höchst gebildet, dabei sehr bescheiden, auch in ihren Ansprüchen, da sie Etwas besitzt. Sie hat früher nie an eine Stellung gedacht, verlor aber vor Kurzem ihre Mutter, und da sie <sagte> ┌fühlte┐, sie müsse einen Wirkungskreis haben, so bot sie sich mir an. |3| Du kannst Dir denken wie mich das beruhigt! –
Ich gehe nun nach Wiesbaden am 20ten Mai, bleibe da bis Ende Juni, gehe dann auf 2–3 Monate nach Göttingen, wohin dann Brahms und Joachim (Letzterer, wenn er von London zurückkehrt) auch kommen. Einen Monat nehme ich Julie mit mir, die Andren wohl Marie, die mit Elise den Juli in ein Solbad muß, wo die Dame sie begleitet, und die beiden Kleinsten mitnimmt. Ende Sptbr. kehre ich hierher zurück. Das sind meine Pläne, soweit der Mensch denkt.
Wie gern sähe ich Elise in Jena – könnte ich es nur ohne Kosten machen, daß ich gerade während ihres Aufenthaltes auch einige Tage dahin käme! das wäre doch günstig. Doch, es geht nicht, ich brauche so viel Geld diesen Sommer. |4| Ich möchte aber doch Elise bitten mir mitzutheilen, wenn sie dort angekommen ist, vielleicht läßt es sich doch einrichten, daß ich von dort nach Frankfurth gehe. Ich sähe so gern meine Knaben vor dem Sommer, denn im Laufe desselben kann ich nicht.
Willst Du nicht so gut sein, liebste Mila, und Elisen die Briefe mitgeben, die sie mir dann von Jena aus schicken könnte? bitte, thue es.
Deine reizenden Berichte über Euer hübsches Familienfest haben mich sehr interressirt; <> ich sähe gern einmal so etwas, ich habe gar keinen Begriff, wie man das mit Kindern zu Stande bringt.
Ich habe die letzte Zeit die Devrient viel gesehen, sie kam vor 3 Wochen aus Liefland, und geht nach Karlsbad. Sie singt oft noch ganz herrlich, nur ist sie ihrer Stimme nicht mehr sicher, was theils |5| am Alter, theils aber auch an Mangel an Uebung liegt. Sie hat dort in ihrer Einoede 2 Jahr nicht gesungen. Sie lebt da in einem Walde auf einem Gute, wo sie Monate lang Niemanden sieht, als ihren Mann, und Diesen nur des Abends, wenn er todtmüde von seinen Gutsgeschäfften nach Hause kömmt. Es muß ein schreckliches Leben sein, aber sie liebt Ihn und er <S> sie sehr, <wa> was mir so Manches beweist, das ich beobachten konnte, während sie hier war. Morgen reist sie, kommt aber im Herbst wieder zurück, und bleibt den ganzen Winter.
Brahms ist zu meiner Freude seit 14 Tagen hier und bleibt noch bis zum 8ten Mai.
Wüllner kommt ja nach Aachen? das ist doch ein Verlust für München. Man spricht davon, daß Dietrich von Bonn dafür hinkommt. Der ist ein äußerst musikal Mensch, singt alle Lieder meines Mannes auswendig, hat überhaupt ein |6| enormes Gedächtniß, aber wenig Stimme, und spielt steif Clavier. Er war früher viel bei uns, doch habe ich mich aus verschiedenen Gründen von Ihm zurückgezogen, er ist ein sehr weichlicher, eigentlich lappiger Mensch, von den Damen geliebt, hat aber trotz seines Talentes, gar kein Urtheil. Dann zeigte er sich gegen Johannes immer sehr neidisch, was mich verdroß. Ich glaube aber, er würde Euch als Gast zuweilen sehr angenehm sein – wünscht Ihr, so kann ich Ihm später einige Zeilen an Euch geben.
Nun, theuere Emilie, sey mir mitsammt Deiner lieben Mutter, Elisen, Hedwig, Cilly, Alle herzlichst gegrüßt, und behalte lieb Deine
immer Alte
Clara.
„Dessauer Straße Nro 2.“

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
359-362

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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