Hamburg den 2ten Januar 1852.
Lieber werther Freund!
Zuerst und vor allen Dingen unser aller herzlichster Glückwunsch zur glücklichen Entbindung Ihrer Frau, die Sie so freundlich waren, mir durch Fräulein Parish mitzutheilen. Gott behüte den neuen Ankömmling, er behüte Sie Alle, liebstes bestes Menschenvolk. Das ist auch mein Glückwunsch zum neuen Jahr, Gott erhalte Sie Alle gesund zu Nutz und Frommen unserer schönen Kunst. – Menschenkind, wie große Gaben hat Ihnen Gott verliehen, wie prächtig wuchern Sie mit dem göttlichen Pfund! – Es geht mir so eigen, mir geht es nach und nach immer klarer auf, was Sie vom Anfang an gemeint haben; dabei ärgere ich mich, daß ich diese Schätze nicht gleich so erkannt habe. – Ach was ist auch Ihr erstes Trio schön, welcher tiefe Reichthum! – Mensch, es erzittern bei mir die verborgensten Saiten meines Innern bei Ihrer Musik, so, daß mir’s oft ist, als hätte ich es selbst nicht geahnt, daß so eigen tiefer Frühling in mir wach werden könnte. – Ich muß es Ihnen offen gestehen, – Ihre Musik macht in mir Saiten erklingen, die noch bei keiner anderen Musik getönt haben. – Schatz, damit will ich Sie aber nicht über Bach, Mozart Beethoven usw. setzen, – nein, es tritt aber aus Ihnen eine Ursprünglichkeit, bei aller Tiefe eine Klarheit, die ich nur vergleichen mögte mit Göthe, der so merkwürdig tiefsinnig und doch so klar sich ausspricht. – So alle Ihre früheren Compositionen, Ihre Fantasie Stücke, Novelletten, Humoresken usw. – Es ist mir, als füllten Sie damit eine Lücke in der Musik aus, die ich vorher nicht so empfunden habe. – Es fehlte uns bisher so das eigentliche Gedicht, so recht der lyrische Erguß einer bestimmten einfachen Empfindung. – Mensch, langweile ich Sie auch nicht? – Ich mögte gerade das einmal vor Ihnen auszusprechen versuchen, um von Ihnen Gewißheit darüber zu haben, ob ich nicht am Ende Ihre Werke verkehrt auffasse. – Sehen Sie, Mendelsohns Lieder ohne Worte sind das nicht, was ich meine. Diese sind eben Melodien, denen die Worte fehlen, es ist mir, als könnte man allenfalls die Worte dazu machen. – So nicht bei Ihnen. – Ich habe dabei gar nicht das Bedürfniß der Wortsprache, ja ich glaube, Sie geben gerade das, was das Wort nicht sagen kann, während Mendelsohn gerade das giebt, was man auch durch Worte sagen könnte. – Ja, ich mögte fast sagen, daß ich bei Ihnen die Töne höre, weil sie Musik sind, bei Jenem aber höre ich die Musik, weil sie Töne sind. – Ob es mir gelingt, mich Ihnen klar zu machen? – Ach, ich bin leider zu ungebildet, um mich kürzer zu fassen. – Schatz und wenn ich Sie auch langweile, verzeihen Sie mir meinen Egoismus, ich mögte so gerne Ihre Werke recht erfassen. –
– Nehmen Sie einmal Beethovens PastoralSymph., – das Gewitter, – er malt Donner und Blitz, Alles, Alles◊2 und doch macht es nicht auf mich den Eindruck, wie Glucks erster Chor in der Iphygenia in Tauris. Gluck giebt eben ganz einfach nur die Empfindung beim Gewitter. – Gerade der Vorwurf, den ich wohl bisweilen über Sie höre, Sie malten zu sehr◊5, – der ist mir räthselhaft, – ich kenne keinen Componisten, der so wenig malte. Sie geben immer gerade das, was sich nicht ◊6malen läßt, die reine Empfindung. – Was macht ein Gedicht so schön? – Ich kann es nur dann schön finden, wenn es mich dabei so durchschauert, daß ich zwischen den Zeilen die Musik des Gedichtes durchhöre. – Das ist’s gerade was ich beim Schiller trotz alles Wort Aufwandes vermisse, während Göthe mit den einfachsten Worten Einem volle Musik giebt. – Das ist’s gerade was mir beim Bach so |2| wunderbar entgegentönt, welches Zwischenhören durch die gewaltigsten Formen, welche tiefe Poesie! Wie streckt er so gewaltig seine Hand aus über Thäler und Höhen, ja über Himmel und Erde und nennt sie sein eigen. – Mensch, ich will Sie nicht mit Bach vergleichen, das wäre sündhaft, so wie Bach, den läßt Gott nur einmal werden. – Aber auch Sie haben sich das, was Sie aussprechen wollen, so zu eigen gemacht, gucken gar nicht neugierig hinein, sondern geben so, daß Jeder sagen muß, Sie hätten ein unumstößliches Recht an Ihrem Eigenthum. – Darum aber kommt es Einem im Anfang bei Ihnen etwas seltsam vor, man kennt’s so noch gar nicht, – aber gelingt es Einem den Zauber zu lösen, das ist’s gar wonnig bei Ihnen zu seyn. Für den großen Haufen schreiben Sie einmal nicht. – Eigen geht mir es bei Ihnen. Bei den meisten Ihrer Werke muß ich < bei> an dieses oder jenes Wonnige<n> denken, was ich erlebte. Bei Ihrem „Warum“, bei Ihren * * * in den Kinderstücken, – da muß ich immer denken an bestimmte Stunden, wo <man[?]>ich meinte, nun wäre Alles vorbei, so sehr mußte ich Gott fragen „Warum“ oder über den Sternen das alleinige Hoffen suchen. – Einer der schönsten Abende meines Lebens war der, wo ich auf einem Hügel lag, unter mir Wald und Wiesen durch die sich ein wunderbares Flüßchen hinschlängelt. Da war die Sonne untergegangen, nur die Baumgipfel glänzten noch und über den Wiesen lag so wunderbare Dämmerung, daß ich nicht mehr deutlich sich Alles abgrenzen sah. Immer und immer muß ich an diesen Abend denken, bei Ihrem Abend in den Fantasiestücken.
Herrgott aber, wohin gerathe ich? – Ich will’s auch seyn lassen, halten Sie mir’s zu Guthe, ich habe Sie gar zu lieb und da ist mirs, als müßte ich einmal recht wie ein Göhr Ihnen vorplaudern, wie’s mir im Herzen ist. –
Wie freuen wir uns Alle auf Ihr Kommen. Dem ausgesprochenen Wunsch Ihrer Clara zu Folge erwarten wir Sie zum letzten Conzert am 13ten März. Da wollen wir wieder nette Tage verleben. – Sie sollen einmal sehen, was mein Robert für ein Prachtjunge wird. – Und wie freuen wir uns Alle auf Ihre Clara. Besser hätte es der liebe Gott nicht machen können, als daß er Sie Beide zusammenführte, Sie wissen noch besser wie ich, welch einen Schatz Ihnen Gott mit Ihrem Weibe gegeben hat.
− Aber nun kommt noch etwas, was eigentlich die Ursache ist, wesshalb ich so lang mit meinem Brief zögerte. – Mensch, ich spreche eine Bitte aus, mit der ich Sie recht langweilen werde. –
Sehen Sie lieber Freund, ich muß Ihnen ehrlich gestehen, daß ich eigentlich recht mit Leib und Seele Musiklehrer bin. – Ich glaube, daß ich meinen Beruf nicht verfehlt habe. Und ich fühle mich hinlänglich genug belohnt. Gestehen mir doch häufig meine Schüler, daß sie mir wegen meines Unterrichts umso mehr dankbar sind, da ihnen durch denselben der Sinn für so vieles anderes Schöne aufgegangen ist. – Nun hat so jeder Lehrer sein Eigenthümliches. – Ich könnte für meine Eigenthümlichkeit Belege hier und dort herholen, – aber ich müßte sie eben aus vielen Werken Anderer erst zusammenlesen. – Da ist’s dann für die Schüler zu kostspielig sich all die Werke anzuschaffen in denen sie das finden, was ich meine. – So habe ich von Anfang an immer die Schüler etwas aufschreiben lassen, oder ihnen selbst geschrieben, – das ist aber im Lauf der Jahre so herangewachsen, daß es fast das Ansehen einer Schule gewinnt. – So habe ich schon vor längerer Zeit einmal das Meiste zusammengetragen, um es für meine Schüler abschreiben zu lassen. Das Ding genügt mir aber immer noch nicht, ist noch lange nicht fertig, für das, was ich mögte. Und doch ist schon das Abschreiben |3| lassen dieses, was ich habe, wieder so kostspielig, daß ich gebeten werde, es drucken zu lassen, weil’s dann billiger käme. Ich mag aber nichts von mir drucken lassen, weil ich einen wahrhaft panischen Schrecken vor der Oeffentlichkeit habe. – Und doch wäre es zu dem Zweck den ich damit vorhabe das Vernünftigste und Beste.
den 6ten Januar.
Da sind nun schon wieder 4 Tage drüber hingegangen. – Immer wenn ich bei dieser Angelegenheit komme, will’s nicht weiter. – Schon aus dem Brief, den ich vor 3 Wochen an Sie zu schreiben im Begriff war, ward nichts und darüber erhalten Sie nicht einmal meinen Glückwunsch. – Aber dieser Brief soll und muß fort. – Seyn Sie nicht böse, daß ich mit meiner langweiligen Angelegenheit dieser meiner Art von ClavierSchule komme.
Meine Bitte besteht nämlich darinn, – ob ich Ihnen das, was ich davon aufgeschrieben und abgeschrieben habe, nicht zuschicken darf, damit Sie’s einmal durchsehen und mir ehrlich und offen gestehen, ob ich’s ordentlich ausarbeiten und fortsetzen, anders ordnen und überhaupt das Ding wie ein Art Schule gestalten soll. – Gottlob, daß es nun heraus ist. Mensch denken Sie nur nicht, daß ich begierig bin, etwas von mir drucken zu lassen. Nein es ist pure Bequemlichkeit, ich mag nicht immer wieder für Abschreiben sorgen, nicht immer wieder vom Hundertsten in’s Tausendste kommen. – Aber bedenken Sie wohl was Sie mir schreiben; Mit Ihrem Ja schaffen Sie Sich gewiß etwas Langeweile.
Nachdem dieses nun vorbei ist, – werde ich recht bald Ihrer Frau noch wieder scheiben, um über Ihr Kommen und die auszuführenden Werke Näheres zu verabreden. –
Meine Frau grüßt auf das Herzlichste, wir freuen uns Alle so auf Ihr Kommen. Ein oder ein Paar Abende müssen Sie wieder bei uns seyn.
Gott behüte Sie Alle, Sie liebes liebes Menschenvolk. Denken Sie bisweilen
Ihres
Th Avé Lallemant
Herr Gott nun habe ich noch einmal mein Geschreibe gelesen. Mögt es fast wieder zerreißen. – Ein schöner Lohn für all Ihre herrlichen Werke, – daß ich Ihnen darüber etwas so – so – Langweiliges schreibe. – Seyn Sie mir nicht böse.
|4| Herrn Doctor Robert Schumann
berühmter Componist
in
Düsseldorf.
frco