23.01.2024

Briefe



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ID: 25858
Geschrieben am: Dienstag 29.06.1880
 

Frankfurt a./M., den 29. Juni 1880.
Lieber Johannes,
gern hätte ich Dir sofort auf Deine lieben Zeilen geschrieben, aber jetzt bin ich nun wirklich so beschäftigt, daß ich mir oft keinen Rat weiß. Ich habe diesen Monat noch viele versäumte Stunden nachzugeben, dazu brachte fast jeder Tag eine hoffnungsvolle Mutter oder Vater mit Tochter, die geprüft sein wollten, was mich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich angriff, denn die meisten mußte ich abweisen, und das kostet dann immer Tränen. Mit Marie wäre also nun abgesprochen – das ganze Direktorium bemühte sich darum, und so konnte sie es wohl annehmen. Beide aber wollten sie nicht angestellt sein, und ich finde, sie haben recht, es ist nicht hübsch, die ganze Familie Schumann an der Schule.
Eugenie hilft nun Marien (da sie es so sehr gern wollte) aber sie wird nicht als angestellte Lehrerin genannt. Wir haben uns sonst auch sehr sicher in allem gesetzt, und ich habe meinen Kontrakt auf 1/2 jährige Kündigung verändern lassen (früher war es 1 1/2 Jahr).
Um zu unserer Geschäftsangelegenheit zu kommen, so will ich Dir vor allem nur sagen, daß ich Trio etc. nicht schickte, um Wichtiges darin zu suchen, nur dachte ich, es wäre ja möglich, Du sähest Fehlerhaftes in den Stimmen, was ich bei dem Mangel an Übung im Partiturlesen leicht übersehe. Es wäre mir sehr lieb, schicktest Du die Sachen bald an mich. Wegen Op. 13–14 habe ich Härtels geschrieben, daß es damit ja Zeit habe und ich noch überlegen wolle. Sie schrieben mir übrigens, daß sie schon zwei Jahre vor Ablauf der Zeit von 30 Jahren die Werke erscheinen lassen würden, da sie den andern Verlegern das Recht abkauften. Ich sandte Dir Op. 3 per Kreuzband wegen einer Stelle in der Es dur-Etüde – bitte, schicke sie mir zurück, ich glaube, man muß die Stelle so stehen lassen, es würde doch wohl keiner ein solcher Esel sein, daß er sie falsch spielt. Ich bin noch bis zum 6. Juli hier und möchte so gern vorher noch alles, was ich fertig habe, an Härtels schicken, also, bitte!
Hoffentlich bist Du jetzt doch Deine Erkältung los? Auch ich hatte es im Kopf, so daß ich viel gelitten habe und noch stundenweise leide – es wird auch Zeit, daß ich fortkomme, die Luft ist hier erschlaffend im Sommer, sobald warme Tage kommen.
Über die Ungarischen haben wir gleich gedacht wie Du, daß sie noch interessanter seien als die ersten. Wie freue ich mich, sie noch vor der Reise zu erhalten.
Wir gehen also nach München (einige Mustervorstellungen zu sehen), dann Ober-Ammergau, dann wohl nach Schluderbach bei Landro, wo es herrliche Gebirgsluft sein soll. – Diese ist doch besser als alle Bäder und sonstiges. – Gebe der Himmel nur besseres Wetter!
. . . . Wir hatten neulich einen großen Schreck, Eugenie fiel ein Stück Fensterscheibe mitten auf die Hand und zerschnitt ihr eine Sehne. Die Wunde war so tief, daß sie zugenäht werden mußte, und sie nun schon 8 Tage eine Bandage trägt und mindestens noch ebenso lange tragen muß, dazu noch die rechte Hand! – Ach, was kann einem doch der Moment bringen! Man wird durch solche Erfahrungen so kleinmütig! Eugenie geht mit der Fillunger nach Habrowan zur Gomperz und erst später, wenn wir aus den höheren Regionen wieder herabsteigen, wollen wir uns irgendwo, vielleicht in Aussee, treffen.
Nun will ich schließen, bitte, laß mich hier noch von Dir hören.
Vom 7. Juli an ist meine Adresse: München, Marienbad-Hotel, und vom 12. an dort, aber postlagernd. Ich lasse mir von München alles nachschicken. –
Herzlichstes Lebewohl von Deiner
alten
Clara.
Grüße an Francks.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
  Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1576-1579

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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