23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 25914
Geschrieben am: Donnerstag 10.06.1875
 

Ich danke Dir, daß Du gut angekommen in Kiel, Dein Brief war mir eine wahre Erlösung von allen erdenklichen Sorgen um diese Reise. Ich bin immer noch ein bißchen dämmerig und kann die Trennung von Dir noch nicht recht glauben. Trennung macht physische Schmerzen diese fühle ich so recht nagend, es ist glaube ich eine Art Hunger, werde ich nicht in viel langen Monaten verhungern müßen?
Ich studire am Elias und das Solo im Requiem von Brahms, die Soloquartette im Elias sind unbequem allein zu lernen ich mache immer Fehler weil ich schwer Begleitung und erste Zeile übersehe, dann werde ich ungeduldig wenn ich aber das Buch wegwerfen möchte denke ich wie würde Genchen traurig dreinsehen wenn sie das wüßte und ochse weiter fort wenn’s auch für etwaige Zuhörer recht unmusikalisch klingt.
Mein lieber Schatz! wenn ich wieder ein weißes Blatt vor mir habe muß ich Dich wieder anreden dürfen. Dir und Du schreib ich lieber noch größer als sonst, denn ich freue mich auf jede direckte Ansprache. Sei so gut und werfe die Novelle in’s Feuer. Heute war ich bei Deinem Bruder im Comptoir und gab ihm den Schein. Breiderhoff hat ihren Brief nur bei Stockhausen war ich noch nicht morgen gehe ich da hin. Gieb mir doch noch Aufträge damit ich für Dich was thuen kann. Deine frühe Ankunft in Kiel wird weniger Erstaunen als Freude erregt haben, nicht wahr?
Ich kann noch nicht, wie Du, sagen wir sind uns um zwei Tage und Nächte näher, ich suche Zerstreuung um meinen Hunger zu betäuben und zunächst suche ich dies zu Hause, bin ich erst da, dann habe ich den schönen Aussichtspunkt erreicht von wo ich nach Berlin im Oktober spähe, jetzt muß ich den Berg erst hinauf. Heimweh von Dir verursacht Mißethäterin!
Ich bin ganz unausstehlich besonders gegen meine leidige Zimmergenoßin. Bitte schreibe mir! Dein Brief heute Morgen verursachte mir eine Aventure ich erhielt ihn im weggehen und las auf der Straße die einzelnen Zettelchen dies mag auffallend gewesen sein, denn ohne daß ich eher etwas von der Sache ahnte hielt eine Droschke knapp neben mir und ein am frühen Morgen betrunkener Jüngling, der auch noch einen großen Hund im Wagen mit hat lud mich ein mit ihm zu fahren. Meiner schweigenden Verachtung setzte er keine weiteren Bemühungen entgegen und winkte dem Roßlenker, ich hoffe dieser rechnete ihm den kurzen Aufenthalt als eine Tour. Berndal gab mich heute vor der ganzen Versammlung der Hochschüler als für seine Kunst verloren, auf, nur weil ich einen Satz der nur mit R. kämpfte, in etwas vernachläßigtem Tone wenn auch mit all R’s wiedergab. Man bedauert mich daher an der Hochschule nun doppelt. Berndal ist selber schuld daran, es war die letzte Stunde vor seiner Abreise, er hatte jeder eine Aufgabe gegeben, allen poetische und nur mir eine rein technische. Das deklamirte <ich> nun mit Todesverachtung (…) Dein Fillu küßt Dich und hofft auf einen Brief.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn,s.979/2-2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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