Briefe
ID: | 25916 | ||||
![]() | Geschrieben am: | Sonntag 13.06.1875 |
Du schreibst mir jeden Tag Goldkind, welche Freude schon jeden Morgen für mich, wenn ich zum Frühstück Deinen Brief bekomme, da fängt doch der Tag gut an. Heute konnte ich doch gar keinen Brief erwarten und doch wußte ich daß einer kommen würde und ging dem Briefträger mit vollster Sicherheit entgegen, ich ahnte gestern als ich zu Bette ging daß ein Brief an mich unter Weg sei. Heute Früh mußte ich meinen Spaziergang unterlaßen ich erwachte mit Halsschmerzen und da es trüb und stürmisch war so sagte ich um ½ 7 Uhr meiner Gesellschaft ab. Die Singstunde gestern war mir sehr fatal ich hatte die Ensembles aus dem „Elias“ also den 1. Sop<ran> in zwei Doppelquartetten einem Duett und ein Quartett zu singen. Das ist nun furchtbar unintereßant und obwohl ich es ganz genau kenne und oft durchgenommen habe, so machte ich doch Noten- und Textfehler. Kannst Dir Schulze’s Freude darüber denken, er meinte, ansehen müßte man so etwas auch, ging aber doch immer weiter und so war die Stunde Null, wird aber nachträglich noch Zinsen tragen, denn er wird sagen Arien und große Solis studiert sie aber Ensemblesätze sind ihr zu langweilig, da liest sie nicht einmal den Text. Es war gar nicht so schlimm, aber ich kenne ja Schulzes Freundlichkeit, hätte ich mich in jener Angelegenheit gefügt so hätte er gestern nicht viel gesagt. Für die nächste Stunde habe ich das Solo im Requiem von Brahms vorbereitet dann noch den „Paulus“ und dann wird das ganze Material repetirt. Ich war aber doch sehr unzufrieden mit mir gestern denn ich machte all die Fehler aus zerstreutheit und Langweiligkeit. Dieses Geständniß muß Dich an meinem sonstigen Fleiße nicht irre machen ich fühle mich gedrängt Dir treu und wahr Alles zu berichten was ich thue also auch meine Vergehen bekennen. Du magst nun mit recht sagen ich sei ein Dummkopf gewesen gestern, das stimmt auffallend, er hatte nämlich die ganze Stunde die ich vorher zuhörte auf mir gehackt und beziehungsweise von Bescheidenheit und Selbstüberschätzung gesprochen und das hatte mich so gelangweilt, daß ich ihm dann den schönsten Beweis großer Bescheidenheit lieferte, indem ich nicht stolz genug war, ihm keine Gelegenheit, mich zu demüthigen, zu geben. Die Sache ist an sich ganz gleichgiltig und die Stunde war verloren so wie so, denn mit einmaligem Durchlesen ist ja nichts profitirt, aber ich schäme mich doch recht sehr und zwar vor Dir und vor mir und ja nicht vor den zwölf Mitschülerinnen die als Auditorium da waren und mir ihr schweigendes Bedauern schenkten. Ich will ihnen Allen erzählen wie ich deutlich fühlte, daß ich in Allem und Jedem jetzt zurückgehe es sei ein moralischer Druck der auf mir liege u.s.w. eine Rittergeschichte, welche jedem einzelnen Hochschüler vor sich selbst Respect einflößen soll und jeder sagen mag: Herr ich danke Dir daß ich nicht so bin wie jene, denn Herr ich weiß es, aus meines Lehrers eigenem Munde, wenn meine Selbsterkenntniß auch zu bescheiden ist es mich selbst sehen zu laßen, ich weiß es Herr daß ich bedeutende Fortschritte mache.-- Alle diese sich auftürmenden Kabalen machen mir Spaß und stählen meinen Muth ich muß und werde siegen. Den Juli werde ich drangeben müßen ein doppelt |
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Absender: | Fillunger, Marie (2260) | ||||
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Absendeort: | Berlin | |||
Empfänger: | Schumann, Eugenie (1440) | ||||
Empfangsort: | |||||
Standort/Quelle:*) | A-Wn,s.979/2-5 | ||||
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla |
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