23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 25951
Geschrieben am: Freitag 18.02.1876
 

Hast Du meine Correspondenzkarte erhalten und weißt daß ich gut hier angekommen? ich will Dir also nur die Ereignißlosigkeit des gestrigen Ruhetages schildern. Am Bahnhof war Niemand mich zu holen gekommen, weil meine Zeitangaben ungenau waren ich nahm also einen Wagen und fuhr zur Collegin, diese war richtig wieder nicht gewaschen und ich wurde in die Räume geführt die mir zur Verfügung bereitstanden, ein Wohnzimmer und Schlafkabinet/ Dachstuben mit sehr hübscher Aussicht auf den Liebfrauenplatz und einige Giebel. Es regnete mit großer Ausdauer, ich schwätzte folglich mit der Collegin, im Laufe des Vormittags kam Herr Brentano, der schwätzte auch, hob die
Leistungen der Collegin in den höchsten Himmel und ging dann wieder, nach ihm kam Herr Baumann und lud die Collegin und mich Abends zu sich ein, darauf folgte ein höchst bedenkliches Mittagessen in eng geschloßener Reihe um den runden Tisch der Miethfrau, ein Mittagessen wie ich es mir nicht oft wünsche obwohl im Ganzen der Pensionstischton gut getroffen war, und mich hätte anheimeln sollen. Ein Mittagessen in einer total finsteren Hinterstuben und wie in Leipzig (seligen Angedenkens) kein Glas auf dem flachen Tisch, nur die Collegin und ich je ein Weinglas und eine Flasche Wein, welche mir durch ihren dunklen Inhalt, noch das letzte Fünkchen Tageshelle raubte, worauf ich sie
neben meinen Stuhl zur Erde setzte. ( ...) Um 7 Uhr ging's zu Baumann allein denn die Collegin schützte Kopfschmerzen vor, ich glaube aber sie hatte Faxen und wagte es für ihren guten Ruf nicht bei dem Wittwer Baumann zu Nacht zu eßen, mir auch recht, ich gehe also allein und schwätze mit Baumann von Oed. Daheim bis 1/2 10 da geht's nach Hause und zu Bett, allwo ich mir die Freiheit
nahm lebhaft von Dir zu träumen. Von Brahms hörte ich daß er bereits hier sei, nach der Probe beende ich diese Epistel. Ich bin sehr wohl und ganz ohne besonderen Grund recht vergnügt.
Die Probe ist, und das Mittagessen beendet, ich ging ganz früh in die Probe und kam an als Brahms im ersten Satz seines Concertes war. Weil ich noch keinen Herren vom Comité gesehen hatte, so bedurfte es einiger Vorstellungen und Grinsereien, welche angenehm durch die Musik unterbrochen waren und mir der etwaige Mangel an Artigkeit nur als solche ausgelegt werden konnte. Brahms
begrüßte mich sehr freundlich hatte aber, wie er sagte einen Kater und ging nachdem er seine Variationen dirigiert hatte an die Luft, ich hoffe er bleibt diesen Abend im Saal wenn ich drankomme. Ich habe in der Probe, liebes Genchen, immer an Deine verschiedenen Höhnereien gedacht und nach Ausspruch der Herrn Direktoren u.s.w. prachtvoll (?) gesungen. Nach dem Concert ist Souper und da werde ich ganz genau wißen ob ich im Concert nicht besser gesungen als in der Probe. Ich werde morgen noch hier bleiben um die Collegin Abends in der »Martha« zu hören ich bin zu sehr neugierig danach. Sonntag werde ich dann nach Hause reisen. Herrn Henkel und Frau habe ich gesprochen.
19 <Feb> Friseur, Toilette, Concert, Souper, Toaste, Abschied, Schlaf. Wachen von 5 Uhr an und nun erst die Fortsetzung dieser interessanten Schilderung. Das Concert war sehr schön, aus dem beiliegenden Programm kannst Du ersehen daß Brahms meine Arie auch Abends nicht hören konnte denn er durfte sich doch dem Publikum nicht vor dem Concerte zeigen. Ich hatte sehr viel Beifall bei der Arie und wurde einmal gerufen. Nun wurde Brahms stürmisch empfangen und durch das ganze Concert lebhaft begleitet vom Publikum. Nun kamen meine Lieder das von Brahms gefiel sehr ich wurde dreimal gerufen. Dann setzte ich mich in's Parterre und hörte die Variationen und Symphonie ich saß neben Herrn und Frau Rosenheim die mir viele Grüße auftrugen an Mama und an Marie und Dich.
Das Souper war sehr angenehm und lebhaft. Der Vorstand hielt erst eine lange Rede über Brahms, vorher entschuldigte er sich bei mir und sagte: Sie kommen dann, dies geschah auch er machte der Tischgesellschaft eine kurze biografische Scize von meinen Studien und wie ich den Schliff in Berlin erhalten hätte u.s.w. Heute will nun doch Herr Rosenheim zu mir kommen und mir einen Brief für
Mama mitgeben. Morgen Früh reise ich ab und bin um 8 Uhr, glaube ich in Berlin.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s.: 979/5-4
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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