23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26074
Geschrieben am: Dienstag 12.11.1878
 

12.11.1878, Leipzig
Besten Dank für Deine Sendung, Du gutes Genchen! wer hat Dir denn verrathen, daß ich Manschettenknöpfe dringend benötige, sofort zog ich sie an und jetzt erinnert mich der gute Weichselgeruch alle Augenblicke an mein gutes Genchen. Darling! I am not sad at all, and I shall be very happy when I can count how many day's to survive, at last to be at my dear Genchen, and not in
Leipzig somewhere my feelings are unhappy, because I can no more look on all nonsense. (...) Durch die Brille sehe ich allemal wenn ich schlechter Laune bin, da bin ich unliebenswürdig und sehe auch alle kleinen Fehler der anderen ohne Nachsicht.
Habe ich mich darin immer so gehen laßen? oder bin ich jetzt besonders mürbe? oder ist nach überwundener Schwärmerei mein Blick schärfer? Lisl und ihr Mann haben für mich oft unglaublich kleine Seiten, an ihm ist es mir unerträglich, daß er feig ist und sie hat kleine aufreibende Sachen die ihr von ihrer Erziehung her anhängen sie wird bei jedem Ausgehen eine halbe Stunde und länger brauchen bis sie fort kommt, dabei Dich immerfort beschäftigen Dich von der Treppe zurücksenden und doch noch die Hälfte vergessen, die Zerstreutheit ist so daß sie an jeder Straßenecke stehen bleibt, zurück und wieder hin läuft, Dir aber nie vorher sagt dies und dies will ich besorgen so daß man das Steuer in die Hand nehmen könnte. Ebenso im Hause wenn ich nun studire oder arbeite, lese, schreibe was immer so wird sie rufen ich laufe hin und es ist irgend eine Sache die gar nicht eilt, in der ich ihr gar nichts machen kann; ich bin immer froh wenn die Miß <Smyth> da ist die kommt für 10 Minuten und bleibt allemal drei Stunden; da stehen sie denn an jedem Punkte, den unglaublichsten inbegriffen und sind angewurzelt unter den heftigsten Gesprächen, komisch ist es, daß sie dabei nur den Raum vermeiden in dem ich gerade bin, weil ich fleißig arbeite oder irgend etwas thue und nur zuweilen aufschaue und allemal lachen muß über die Beiden. Meine diesbezüglichen Andeutungen versteht Lisl gar nicht, sie hat das ungestörte Bewußtsein einer unausgesetzten Thätigkeit, das ist auch buchstäblich wahr sie kommt keine halbe Stunde am Tag
zu einer ruhigen Beschäftigung, sie saust herum sitzt einmal 1/2 Stunde am Klavier und nur ihre Briefe halten sie mal ne Stunde fest. (...)
Zanke mich nicht wegen diesem Briefe ich war schon dreimal in Versuchung ihn zu zerreißen, aber ich sehe doch wieder nicht ein warum ich Dir nicht sagen soll was ich gerade denke und fühle, es thut wirklich weh eine ehemalige warme Liebe, blinde Verehrung, übergehen zu fühlen in ein Verhältniß welches drückend für mich werden muß, da ich hier immer nur empfangen habe. Ich könnte mich treu jeder Leistung für Lisl's widmen in Erinnerung dieser Verpflichtung, wie werthlos würde aber auch das größte Opfer, das ich etwa bringen könnte sein! Auch meine Liebe ist ja Luxus für Lisl, und sie wird ja so geliebt von aller Welt hat nur immer gegen das Übermaß welches davon auf sie
hereinströmt anzukämpfen. Sage mir eine Sühne, einen Ausweg für mich! (…) Mein liebes Genchen wie oft falle ich in grüblerische Träumereien über die Gesellschaft unserer Zeit und wie erscheint mir jedes Ding klein, nur ein Ding lebenswerth das bist Du, und Dir zu liebe möchte ich leben dürfen. Wie gut kann ich mit Dir über alle und jede Empfindung, jeden Gedanken und jedes Erlebnis sprechen.
Wie freut mich jede derartige Offenbarung von Deiner Seite und in der Gesellschaft kann ich höchstens durch abstracte Äusserungen die Aufmerksamkeit des Einzelnen für einen Augenblick gewinnen, husch ist der Moment vorbei! und ich treibe wieder wie ein Stück Holz im Fluße. Also zank
nicht mein Genchen ich will mich nicht besser machen als ich bin aber in der Sache fühle ich mich unschuldig wenn auch belastet. Leb wohl! Schreibe alle Auslagen die Du für mich hast auf, der große freudige Tag der Zahlung kann ja kommen.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s.: 979/16-17
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.