23.01.2024

Briefe



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ID: 26164
Geschrieben am: Freitag 17.05.1889
 

17.5.1889, London
Soeben komme ich aus »Macbeth« wohin mich Mr Burnand mitgenommen (...) Irving ist ein erbärmlicher Schauspieler und stößt Töne aus die ganz unglaublich sind, aber die ganze Inscenirung ist großartig und sind Bilder von wirklich landschaftlicher Schönheit. Ellen Terry ist auch keine Wolter obwohl sie schöner ist als diese, sie ist mit den Händen so unruhig, nicht erst im fünften Act sondern von allem Anfange an, daß man ihr gerne etwas in die Hände geben möchte um sie zu beschäftigen. Sie spricht sehr schön und war groß in der Bankettscene, wo sie den erschreckten Gästen erklärt warum Macbeth so verdreht ist, sie hielt da die beiden Theile meisterhaft auseinander und ihre große Beweglichkeit war ihr da sehr günstig. Es war die 115te Vorstellung Tag für Tag und ich glaube
sie sind beide fertig. (...) Betty geht in kein Theater weil sie sich vor Feuer fürchtet. (...) Ich weiß sehr gut, und fühle auch das Bedürfniß an Mama schreiben zu müßen, habe auch schon wiederholt vor dem leeren Papiere gesessen und dann kam es mir brühsiedend heiß und ich warf die Feder weg
ohne eine Silbe von dem zu schreiben was mir durch den Kopf jagte. Sprichst Du nie mit Mama? kannst Du ihr mein Schweigen nicht erklären? Ich kann ja so manches noch immer nicht verstehen und muß noch Zeit haben, ich versichere Dich daß mir der totale Bruch noch gar nicht plausible ist. Ich habe sogar noch ab und zu abgerißene Gedanken als könnte ich jetzt in die Myliusstraße zurück,
wenn mir aber dann einfält daß Mama mir wenigstens fünfmal gesagt hat ich könnte Dich ja jederzeit besuchen und das Fremdenzimmer jederzeit benützen, da besinne ich mich erst. Ebensowenig ist es mir klar daß ich ganz in England bleiben muß und hoffe ich, durch Beschäftigung die ich hier finde, so weit zu kommen. Aber ein Traumzustand ist es immer noch und ich hoffe nur es soll bald anders werden. Der einzige fixe Punkt für mich ist unser Zusammentreffen in Basel, bitte halte darauf und laß mich da nicht fehl gehen.
(...) Ach mein Genchen ich glaube ich verändere mich jetzt sehr. Wenn Du wüßtest wie gerne ich übe, wie ich mich hungerig auf jedes Musikstück stürze und Takt für Takt studire, wie ich mich freue auf den ganzen Wagner-Unsinn nur um ganz aus mir heraus zu kommen, und wie ich geize auf die Momente öffentlich oder auch nur im Salon zu singen. Alles ist mir recht ich kämpfe an oben und unten wo sich nur ein Häckchen zeigt. Und immer möchte ich noch mehr. Mit meiner Stimme bin ich sehr zufrieden daß ist nun mal gewiß daß beste an mir, den<n> sie wächst mit den Ansprüchen die ich an sie stelle, und ich habe wahre Freude an diesem Vermögen.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: London
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s.: 979/27-9
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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