23.01.2024

Briefe



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ID: 26174
Geschrieben am: Mittwoch 05.06.1889
 

5.6.1889, London
Ich bin den ganzen Tag damit beschäftigt einen Brief an Mama zu componiren. Du glaubst aber nicht wie schwer mir das fällt. Ich weiß wirklich nicht wie anfangen und was sagen. Ich habe ein so bestimmtes Gefühl daß ich Mama nie mehr wieder sehen werde, d.h. nie mehr wieder ihr Haus betreten werde und wenn ich nun die Ursachen dieses Zerwürfnißes suche so sind sie so gering und
unverständlich daß es mir wieder unbegreiflich ist wie es so weit kommen konnte. (…) Bitte schreibe mir ein bischen wie und was Du denkst daß ich an Mama schreiben müßte, ich möchte es so gerne bald thun kann aber keinen Anfang finden. Alle Sentimentalität liegt mir in dem Falle ganz fern und ich will ja auch nichts bezwecken durch einen Brief. Ich höre nur immer Mamas Ausspruch, daß ich mich feindselig gestellt hätte, wieso denn, daß ich den Familientag umging? das war doch nicht anders möglich und sonst bin ich ja ohne Widerrede stillschweigend gegangen. Was hätte ich auch anders thun können! Um was hätte ich bitten sollen, danach.
Damals, gleich in den schrecklichen Tagen in Frankfurt vor der IX Sympfonie, hatte ich immer das Gefühl, Mama und Marie haben mit etwas gespielt wie unerfahrene Kinder und das Ding wurde plötzlich lebendig und ließ sich nicht mehr bändigen; und wie das Kind den Tisch schlägt an den es sich gestoßen, so wurde meine Auffaßung der Tatsache als übertrieben und was weiß ich dargestellt. Betty weiß mehr als mir lieb ist und plappert natürlich herum, ich ersah gestern aus einer Bemerkung der Linschen, daß viel von Deiner Verstimmung berichtet wird an sie, und daß ich beschuldigt wurde diese zu verursachen. Linschen sagte nämlich »nein wie können Sie nur so lustig sein, wenn das Frl Eugenie nur sehen könnte.« Ich frug nicht weiter nach, weil ich nicht will hier mit irgend Jemand sprechen darüber, aber ich habe doch ein unbehagliches Gefühl als könnte man mich als impostor beargwöhnen obwohl ich wirklich auf Mama's Namen hier keinerlei Schulden gemacht habe in der Gesellschaft, Mr Burnand habe ich freilich oft gesehen aber ich habe mir mein Dinner dort allemal durch Singen verdient. Begreifst Du dies Mißtrauen? Kannst du nicht von Marie erfahren was sie und wie viel sie geschrieben hat. Doch wohl kaum. Wenn Betty nicht so borniert wäre so würde ich sie schon längst gefragt haben aber da höre ich ja doch nichts gescheites und Schweigen will ich ihr nicht anbefehlen dazu bin ich zu hochmüthig. Warum läuft mir nur immer noch die Galle über wenn ich an die ganze geschichte rühre, ich fürchte ich bin noch lange nicht »fit« für weichere Gedanken. Diesen Brief sollte ich Dir nun eigentlich gar nicht schicken, aber ich halte Dich doch nicht für einen solchen Schwächling daß ich glauben könnte es schadete Dir ihn zu lesen im Gegentheil Du kannst mir helfen thue es recht bald.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: London
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s.: 980/1-3
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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