23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26236
Geschrieben am: Sonntag 16.03.1890
 

16.3.1890, London
Ich war die Erste am Victoria-station und nach einiger Zeit waren wir etwa 20 Damen einige beautys als da ist Miß Grant, Schwester jener Miß G<rant>. welche von H<er>kom<er> gemahlt, so viel Aufsehen machte, usw alle Joachim Damen, meine Miß Hope, kurz wir waren mehr als zwei Coupés, ein Apollo war nicht dabei, da er von Cambridge direkt kam! Ich fühlte mich wie ein Fisch deplacirt unter all diesen Schwärmeriern aber Fr. Joachim war besonders liebenwürdig und erleichterte mir alles. Wir gingen direct in den Concertsaal und bald darauf kam Joachim und wir hörten eine schöne, fast ganz doppelte Probe vom Concerte. Fr. J<oachim> hatte einen Klavierauszug und ließ mich mit ihr nachlesen. Der Cellist war viel zu weibisch und konnte mit seiner französischen Schule Brahms nicht gerecht werden, es war allemal wie ein frischer Bergquell wenn Joachim zu Worte kam. Ich hatte den reinsten Genuß besonders an seinem Rhythmus und an der männlichen Art. Als die Probe zu Ende war kam er herunter und begrüßte alle die Damen, mich erkannte er nicht und als ich ihm in
einem kritischen Augenblick den Geigenkasten hielt erkannte er mich und rief so laut und freundlich »Fillu!« daß es mir wirklich wohl that. Die 20 Damen verbröselten sich darauf und ich ging mit Fr. J<oachim>. Dr. J<oachim> und noch drei Damen in einen der Speisesäle. Auf dem Weg dorthin sagte er mir über seine Schritte in der Angelegenheit Janotha. Er hatte sich wirklich aufgeregt darüber das Mama ihre hiesigen Freunde tadeln konnte in diesen Sachen. Alle sind der Meinung daß Mama viel zu hoch steht und davon nicht berührt werden kann, in keiner Weise und daß man besser nicht daran rührt. Er las mir vor was der Editor einrücken wollte und wie er, Joachim, dies redigirt hatte und sagte mir daß er nun doch sehr froh wäre daß Mama schließlich abtelegrafirt hat und somit die allgemeine Aufmerksamkeit nicht wieder erregt wird. Besonders leid thuen mir Betty und Mr. Burnand, die sind so unglücklich darüber und hatten es gewiß gut gemeint. Ich theilte Dir doch sofort mit wie ich davon hörte und bat Dich dafür zu sorgen daß Mama nicht davon hört. Wenn Du nicht meiner Ansicht warst, warum hast Du nicht gleich geschrieben! und so hast Du nie mit einer Silbe das Ding erwähnt und dachte ich, es wäre so recht.
Nun weiter, wir gingen zu Tisch und es war da sehr gemüthlich und schlechte Kost. Kurz um 3 Uhr entschuldigte ich mich.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: London
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s. 980/8-6
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.