23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26603
Geschrieben am: Montag 14.11.1831
 

Cassel d. 14. Nobr. [18]31
Liebe Frau
Da Du nicht schreibst, so will ich es thun. Aber von uns zunächst wenig. Doch muß ich Dir sagen, daß Spohr uns außerordentlich ausgezeichnet, und daß Claras Spiel von ihm u. Hauptmann, der Frau von Malsburg u. Cellospieler Hohemann, (das werden nun wohl fast alle Kenner von Cassel seyn) über alles gesetzt wird. Aber – erschreckt nur nicht – Clara’s Compositonen und die 4 Polonaisen – die in Leipzig niemand vorurtheilsfrei beurtheilen kann oder will – wird hier ihr Recht geschehen. Alles weitere künftig; und Fritzchen wird Eure schiefen bedenklichen Gesichter mit etwas ganz anderem beantworten, und allen den schonungslosen u. lieblosen Urteilen begegnen mit Kraft – Thaten. Zu Chopin schüttelt Ihr wohl auch den Kopf? Was ist Euer elender beschränkter Kopfschüttel, gegen das ruhige ernste u. nie u. durch nichts zu bestechende Urteil des Spohr u. des Hauptmann? Solcher Leute Aufmunterung bedurfte ich, um der Welt noch recht nützlich zu seyn, mit dem, was ich 10 Jahre lang gedacht und ersonnen; während ich mich bis jetzt von elenden Leipziger Lumpen niederdrücken ließ.
Doch zur Sache.
Tinchen! Du mußt noch einmal zu Rochlitz gehen u. ihn bitten, ob er mir nicht gütigst auf ein kleines Blättchen (meinetwegen, damit es Clara in ihr Stammbuch legen kann) einige freundliche Worte „über Clara“ schreiben will. Das nutzt auch mehr als alle Empfehlungen, die man nur einmal brauchen kann. Dergl. kleiner Documente haben wir schon viele z. B. unter andern von Mensing, Spohr, Hauptmann pp. Die Churfürstin schickte z. B. nach meinen Zeugnissen – nun – und da habe ich ihr sogleich deren mehrere geschickt. – Meine Rhapsodien über Chopin haben hier solch ein Glück gemacht, daß mit Spohr – der meine Ansicht zwar poetisch aber richtig nennt u. über Clara’s Darstellung dieses Stückes ganz entzückt war, rieht, sie in die Caecilia zu schicken, weil die eben da allgemein gelesen wird, wo wir hinreisen, u. weil ich mich dadurch empfehlen werde bei Heinroth in Göttingen, Weber, Schott, Schleble, Guhr ppp. Sage ihm also vorsichtig, wenn er es für die Leipziger Musikal. Zeitung nicht passend genug hielte oder er sich ausredet „er hätte nichts mehr damit zu thun pp“ so sage ihm, daß mir Spohr obiges gerathen hätte u. ich würde es thun, wenn er mir auch seine Zustimmung dazu gäbe.
Daß wir hier sogleich freies Theater erhalten haben, daß wir in Spohr’s berühmter Cecilia (seiner Singakademie) bereits à 4m. u à 2m gespielt u. Spohr wiederholt in Gegenwart aller Sänger das großartige u. gebundene Spiel der Clara heraushob u. hinzufügte, unter Clara’s Händen veränderten sich selbst die Instrumente (es war ein elender hiesiger Scherben) daß durch Spohr (die Hofmarschälle, ach vielmehr deren Bedienten haben uns 7 mal abgewiesen u. ich habe es bereits in der ganzen Stadt gerügt) – (siehe die Brüder des großen Lüttichau!) gleichfalls schon der Churprinz u. die Churfürstin (beide sind leider Todtfeinde – zum Unglück für alle Kunst) bekannt gemacht u. vieles andere kann ich jetzt nicht weiter berühren.
Sage dem Rochlitz ferner: durch Empfehlungsbriefe wäre ich höchstens nur einem empfohlen, aber durch dergl. Zeugnisse wäre allem Zweifel abgeholfen, u. ich könnte sie zu jeder Zeit gebrauchen, wenn es nötig sey, und das letztere finde oft statt. Clara’s Alter bietet fast unübersteigliche Hindernisse dar, denn die ganze Welt fliehet die sogenannten Wunderkinder, denen in der Regel einige Stückchen eingebleut, u. die nicht musikalisch sind – aus denen also auch nichts geworden u. nichts werden kann. Nun ist es zwar mit Clara anders, wie Spohr sagt, aber wo sollen denn die Kenner und namentlich die Klavierspieler herkommen, welche Clara’s außerordentliche Bildung sogleich zu erkennen und vorurtheilsfrei zu prüfen wüßten?

  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
  Absendeort: Cassel
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.