23.01.2024

Briefe



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ID: 26604
Geschrieben am: Freitag 27.01.1832
 

Frankfurt a. M. 27. Jan. [18]32
Liebste Frau
Unser 2tes Auftreten ist vorbei. Wir haben in dem Saale des Museums (eine große Ehre – wir sind die letzten, die ihn bekommen haben) Concert gegeben. Clara spielte mit so großem Beifall, daß selbst das Orchester in der Probe u. Aufführungen lauten Beifall zuklatschte u. mit den Bogen auf die Pulte klatschte. – Wüßtest Du, welche Arbeit, Sorgen pp ich gehabt in dieser Zeit, wo man nur an die Polen u. an die Staatspapiere denkt, hier Concert zu geben! Will es Gott: einmal mündlich. Bei diesem Concert kamen einmal Fälle vor, die ich noch nicht erlebt. Gestern Abend waren wir bei Berly, wo Clara wieder vor einer Gesellschaft spielte auf einem engl. Piano von Clementi. – Es ist ihr egal. Versteht sich, es war wieder kein Mensch darunter, der Klavier spielte – kaum einige, die einigen Kunstsinn hatten. – Morgen sind wir bei dem französischen Gesandten zum Mittag gebeten. – Die Kabalen hier solltest Du kennen. – Clara spielt wahrscheinlich schon übermorgen in Darmstadt, u. da ich nicht weiß, ob Clara nicht noch einmal auftritt, so adressiere deine Briefe immer noch hierher. – Fechner hat noch nicht geantwortet, und ich bin ängstlich, ob Clara es auf der Diligence in solcher Kälte aushält. – Sie ist wieder wohl, und das Friesel vorbei. – Es war ziemlich voll in unserem Concert, aber welche Mühe habe ich mir auch noch gegeben? Es wurde darinnen auch „der Traum“ von Clara gesungen. Du erhältst nun bald eine Kiste mit alten Sachen, Papieren, Briefen pp. wo Du Concertzettel finden wirst. Hebe mir aber ja alle auf. – O Gott, die groben Frankfurter Egoisten, deren Bauch nur Kunstsinn hat, wissen nicht, was sie gehört haben, denn Clara hat göttlich gespielt – wie noch nie. Du solltest wissen, welche Kabalen man wegen des Conrad Graf gemacht hat. – Hier ist man zu dumm u. ganz zurück, wer weiß, was ich an meinen Instrumenten verliere. – Man will mich hier behalten als Lehrer – nun, das wäre mein Kunsttod.
Nun, was machst Du, mein Herz, u. das kleine Mädchen? Wie heißt sie? ist die Taufe vorbei? Du kannst mit Gott nun auch wieder aufstehn? Schone dich ja. Stillst Du selbst? Schreibe mir.
Ein liebenswürdiges Mädchen, Fräulein Wonsler, hat sich Clara’s angenommen u. gibt ihr alle Tage mehrere Stunden Französisch. Clara hat nun die Scheu überwunden u. spricht u. versteht schon recht geläufig – ich auch – ich gebe ihr französisch Klavierstunden dafür. Clara sähe wie ein Engel aus in dem neuen Kleide und machte ein schönes Kompliment. Daß uns der Kutscher irre gefahren u. zu spät ins Concert gebracht, das u. vieles andere mündlich. In Leipzig sollen einige Cholerafälle vorgekommen seyn? Ist es wahr? schreibe mir. Schumanns Brief pp habe ich erhalten u. mich sehr gefreut. Nachdem ich mit guten Freunden u. Schnyder 2 Stunden daran studiert: so haben wir ihn bis auf ungefähr 30 Worte entziffert. Aber diese bleiben uns ein Rätsel – Schnyder war auch dabei, u. er kann sie auch nicht entziffern.
Gott! was doch so ein Phantasiemensch für Buchstaben macht. Die sind ja auch ätherisch! Seine Variationen will ich mit zu Weber nach Darmstadt nehmen. Habe ich noch Zeit, so will ich sie recensieren. – Ich bin jetzt zu unruhig, weil ich noch zu keinem Entschluß gekommen bin, wegen unserer weiteren Reise. Du weißt doch: das vorgestrige Concert war das 16te Auftreten der Clara. Unsere größte Gönnerin, die Madame Speier, ist, wie in Cassel der Hofmarschall – immer krank. Das Glück haben wir immer. Das Frankfurt mit seinem Fressen habe ich so satt, daß es mich ekelt, zum Fenster hinaus zu sehen. In dieser Hinsicht freue ich mich sehr auf Paris, wo doch wenigstens unsere Kenner sind, die Claras Leistungen begreifen. Höre: Einmal waren wir in Gesellschaft. Man hatte sich vorgenommen, uns Frankfurter hören zu lassen u. spielte uns ein Trio von Beethoven op. 1 vor. Man fragt mich nachher (sie hatten es erbärmlich gespielt): kennen Sie das? Antwort; wir sind aus Leipzig u. Clara spielte dieses Trio im 9 ten Jahre mit Leidenschaft vom Blatt. Nachher um 10 Uhr wurde Clara aufgefordert. Ich dankte sehr u. sagte, Spohr hat gesagt, Clara müßte man 6 mal hören – u. dazu wäre es zu spät pp. u. ging fort.
Wie ich aber die Frau Baronin Carl Rothschild abgethan habe, die uns kränkte, davon spricht man in ganz Frankfurt. So eine reiche Jüdin, die Baronin geworden, soll doch fühlen, daß ein christlicher Künstler kein Hund ist. Mündlich deutlicher. Naue in Halle ist ja an der Cholera gestorben. Die Krankheit soll ja fürchterlich wüthen.
Ich bin doch neugierig, was die Frankfurter in die Dideskalia schreiben werden über Clara. Sage Schumann, er soll Achtung geben. Nun ist doch Clara schon oft genannt worden. In der ganzen Rheingegend ist sie nun bekannt. – Wahrscheinlich kommen in der Kiste einige Kompositionen von Clara mit. Jetzt schreibt sie Variationen „an Alexis“, welche wunderschön sind. Sie comoniert sie für Paris. – Sie bedankt sich bei Schumann für den Brief. An Schumann will ich schreiben, wenn ich Zeit habe u. von Darmstadt zurück bin. – Die Cholera rückt durch Böhmen u. Bayern näher.
Das Schönste wünscht Dir und herzliche Küsse
dein
Friedrich

  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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