23.01.2024

Briefe



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ID: 26612
Geschrieben am: Sonntag 12.02.1837
 

Berlin, Sonntag d. 12. Februar 1837
Liebes Tinchen,
diesen Morgen komme ich erst ans Schreiben, bedenke Berlin – viele Briefe – falsches Adressbuch – schlabrige Menschen – Aufstellen des Flügels – ewiges Herumlaufen nach einer reinlichen u. guten Privatwohnung, ohne eine zu finden – Sorge für unser Spiel im Opernhause: kurz u. gut, unser Freund Teschner, welcher im Sommer nach Leipzig kommt, soll mich entlasten bei Dir für diese u. künftige Langsamkeiten. Also wir wohnen noch im Hotel de Russie noch einmal so wohlfeil als andere, aber doch theuer – es ist aber vor der Hand nicht zu ändern – dafür empfangen uns aber auch 2 flammende Engel mit Gaslicht, ein dicker Portier, ein Commissionar u. 2 Marqueure jedesmal, wenn wir eintreten. Die Theuerung in manchen Stücken ist furchtbar z. B. am ersten Abend ließ ich mir eine Portion Coteletts mit Erdäpfel geben d.h. es war ein Cotelett welches mit dem Knochen noch keinen vollständigen Bissen abgab, u. dazu 6 Stückchen Erdäpfel – 10 gr. m. C. Da sind wir klug geworden, wir essen nur einmal Nachmittag 2 ½ Uhr, Nani holt selbst früh trockene Semmel zum Frühstück – la voilà tout – aber der dicke Portier frißt dafür den ganzen Tag, wahrscheinlich für die Gäste mit, und hungert einem je Abends, so sieht mir der Kerl ganz so aus, als wenn er dann hinzuspränge u. so einem hungrigen Gast einen Riemen um den Leib legte. Clara hat an Banck, weil ich garnicht Zeit hatte, nach Magdeburg einige Zeilen geschrieben, und ich bitte dich, diesen Brief an Carl Banck, Tonkünstler in Magdeburg zu schicken, daß ich nicht 2 mal zu schreiben habe, denn es ist nun einmal hier keine Zeit dazu. Bedenke wenn nun erst die Besuche kommen? Clara nimmt bei Dehn, einem fürchterlichen Contrapunktisten (ich habe so einen Kerl lange gesucht) 12 Lektionen, worin er sie bis zum Circelcanon bringen will, also mit einem Worte: wenn sie nach 12 Lektionen ausspuckt, giebt sie allemal eine Fuge von sich. Clara freuet sich auch sehr auf dieses Übergeben, da es ihr beim Fantasieren von großen Vortheil seyn wird. Also Clara spielt diese Woche noch im Opernhause, da Spontini, Redern u. Brühl (letzterer obgleich Exzellenz hat uns schon einen Gegenbesuch gemacht – wer im Hotel de Russie in Berlin wohnt, ist schon 10 procent mehr werth) sich sehr gefällig gegen uns bezeugen. Nun, zu unserem Teschner – der ist kein Berliner, sondern hat eine Banck-Natur – kommt alle Tage zu mehrmal gelaufen, schimpft auf die Berliner, ißt heute mit uns bei Richter (liebenswürdige Familie – schlabrige Frau) und sieht feuriger aus, als er ist. – Wir nehmen von morgen an noch ein drittes Zimmer dazu d. h. wir müssen, denn wo der Flügel steht u. die Gegenbesuche empfangen werden, kann mein Bette nicht stehen. Zwei Wachslichter wurden uns mit 12 gr angesetzt, wir haben nun selbst davon gekauft pp also, obgleich die 3 Zimmer (2 kosten jetzt 1 Rl. 8 gr – unter den Linden sollten wir auch 6 Louisdor pro Monat geben) 1 Rl 12 gr kosten, so werden wir doch pro Tag mit 3 Rl auskommen, und wohnen schön, bequem u. sehr anständig u. immer noch wohlfeiler als in Magdeburg u. Hamburg – aber freilich einmal Essen, keinen Wein, 1 ½ Portionen Kaffée, trockene Semmel u. – der verfluchte dicke Portier mit dem goldenen Rockknopf – aber freies Theater, schlechte Sitze darin pp. Zum Kronprinz werden wir wohl eingeladen werden, da man bei Hof sehr neugierig auf Clara ist; doch was wird man der Clara im Opernhause geben? Redern hat nichts gesagt. Um 10 Uhr gehen wir zum Doctor Spieker, der dem Rellstab die Spitze bieten will u. in dessen Zeitung Dehn arbeitet. Dehn sagt auch, alle die übrigen Schundblätter sollen wir ungehindert schimpfen lassen u. die Journalisten hinauswerfen, wenn sie kommen – dazu soll der Portier dienen. Nun gehen wir auch zu Kunowski u. vielen anderen, wo wir keine Briefe hatten. Bitte doch deinen Bruder um ein paar Zeilen an die Bettina Arnim, es wird uns, wenn wir in der Singsakademie Concert geben, wozu Spontini und Redern gerathen haben, von Nutzen seyn, müssen freilich bei ihr spielen. Redern sagte, Clara hätte so einen Ruf in Berlin, daß wir mit Soiréen erdrückt werden würden – wir sollten uns in acht nehmen. Nun, diese Woche haben wir gute Ausreden u. haben schon 2 Körbe ausgeteilt. „Wir wissen nicht, welchen Tag wir im Opernhause drankommen“. Auf den Dienstag ist Glucks Armida. Bei Mendelsohn’s Mutter waren wir, u. sie lud uns ein für heute zur Madame Hensel, ihrer musikal. Tochter, die vor 14 Tagen den Paulus aufgeführt hat, - mußten es aber abschlagen – suchen auch keinen mitleidigen Schutz. Clara’s Spiel ist noch nicht in Ordnung – sie spielt noch matt u. daneben – das ist das böse Prinzip! – ich baue auf den guten Genius und bitte mir aus, daß in Magdeburg niemand darüber lacht. Banck sey hiermit gesagt, daß alles unfrankiert geschickt wird. – Wollen wir etwa mit Komplimenten unser Nemons-Nutzen abnutzen? – Wir haben außerordentliches Wetter gehabt, nur heute ist es unangenehm. Nun, mein Tinchen, wie steht es mit dem Naumburger Instrument? Ich dachte, Du würdest wenigstens einen Geschäftsbrief diese Woche abgehen lassen. Der Flügel von Mohn kommt in die Wohnstube u. der gute Mahagony noch in die gute Stube, weil Du Zwillinge liebst u. dann keinen Platz zum scheuern hast. – Ich wollte diesen Brief morgen fortsetzen, aber Du wird dich sehnen nach Friedrich’s Schmiererei, darum mag er abgehen, u. Banck wird sich auch nach einigen schlechten Witzen sehnen, denn ich sehe ihn schmollend im Fenster bei Papa Banck sitzen u. ins Blaue hinaussehen d. h. in Magdeburger Elbnebel, und der stinkt schlecht. Ich hoffe aber doch, daß er fleißig componieren und schaffen wird – zur Klavierexecution empfehle ich ihm Ehrlich u. Chwatall u. dazu das Instrument von der Westermeyer, mit N. 17 ausgezogen.
Banck’s Grippe hat sich doch verzogen? Mein Jucken hat sich eher gebessert als verschlimmert, u. Engbrüstigkeit, die ich auch zu diesem Laufen garnicht brauchen könnte, habe ich fast garnicht – fortwährend einen leeren hungrigen Magen, verbunden mit Sehnsucht nach des Portier’s Leibschnürriemen u. schlechtes Bairisches Bier – wenig Kaffee, viel Wasser sind gute Hausmittel dagegen. Jetzt müssen wir fort, ich küsse Euch alle – Clara grüßt u. wird schreiben.
Dein Friedrich W.
Nani grüßt alles.

  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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