23.01.2024

Briefe



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ID: 26614
Geschrieben am: Dienstag 28.02.1837
 

Berlin d. 28. Febr.

Liebes Tinchen,
Clara hat also gestern in dem Möserschen Concert vor einem scheußlich u. teuflisch zusammengetrommelten Publikum einen neuen Triumph erfochten. Alles wurde kalt aufgenommen – Möser, die Fossmann, die Grünbaum pp, aber Clara ist schon bis in alle Stände gedrungen u. alle sagen: sie könnte einen ganzen Winter durch spielen, so würde sie immer noch nicht fertig seyn. Wie viele Federn sind jetzt für Clara, da sie so oft spielt, in Bewegung? Wie windet sich Rellstab? In der Staats-Zeitung bin ich erwähnt u. das schöne Klavier. Aber Clara hat gestern d. 27. auch in der Staatszeitung gestanden u. wie? Auf diplomatischem Wege wurde uns verrathen, daß erst nach vielmaligem Auftreten gesprochen werden würde. Indessen, die warmen Kennerseelen (das allgemeine Publikum ist beispiellos kalt, weil es namentlich von diesem erbärmlichen Möser musikalisch zu Tode gehetzt ist durch die schlechtesten Aufführungen u. Concerte, die ich in meinen Leben gehört habe) müssen hier ihrem Herzen Luft machen, wenn etwas Außerordentliches erscheint, u.: Clara ist das Tagesgespräch. Wir haben morgen dasselbe Kennerpublikum wieder – es waren lauter Künstler, Klavierspieler (100 Spielerinnen gewiß darunter) und merkwürdige Enthusiasten – die schweinerln ordentlich vor Wonne – wie ich mannigmal. Ich habe keinen Menschen eingeladen zum Concert, wie hier gebräuchlich ist – wir stehen groß da im Hotel de Russie!! Niemand wagt uns einzuladen, kein Jurnalist beschwert uns – bitten höchstens demüthig um 1 Billet; - Möser u. das von mir fortgeschickte Quartett, worüber Rellstab auf Ansichten Mösers in seiner letzten Recension so sehr schimpft, stehen zerknirscht da – das kann uns alles gleich seyn, Banck hat recht: Rellstab hat ja selbst schon die Clara als erste jetzt lebende Pianistin (mit einigen Aber) anerkennen müssen, denn ein Berliner enthusiastisches Publikum ist fürchterlich, u. Recensenten haben auch Furcht. Tinchen, war es nicht Zeit, dass wir nach Berlin gingen, um mit einem Schlage in ganz Europa groß dazustehn? Clara hat anonyme Briefe durch die Stadtpost von Bach’schen Enthusiasten erhalten, um noch mehr von Bach zu spielen. Morgen kommt eine geneigte Antwort darauf von ihr in die Vossische Zeitung, die das hochgebildete elastische Berliner Musikpublikum überaus aufnehmen wird, u. was uns sehr nützlich ist.
Kind, wir bleiben in diesem Saal, wir haben 100 RL über u. nur 35 RL Unkosten. Wir lassen keine Zettel anschlagen u. bezahlen für Annoncen nur 10 RL, während andere 20 u. mehr Thaler bezahlen pp. Clara dringt so durch. Beckmann’s erstes Auftreten in der Königstadt hatte 1500 Menschen u. darunter alle Juden hinzugezogen, u. doch haben wir 100 RL übrig. Morgen geht es vielleicht besser. – Aber was soll mit Hamburg werden? Wir müssen künftigen Winter wieder her. Für Döhler ist das allgemeine Publ. fürchterlich eingenommen, doch sagt man bereits auf den Kaffeehäusern, Clara ist der Mann u. Döhler die Frau.
Gestern musste ich die Zettel umdrucken lassen, morgen ist Ali Baba im Opernhause, Zschiesche, Bader, Eichberger, die Gebr. Ganz (welche Quartett spielen wollten zur Abwechslung) alle mussten es absagen. In 2 Stunden war ein anderer Zettel fertig (Kind, was bin ich in den Droschken herumgesprengt), alles kam uns entgegen, unser herrlicher lieber Zschiesche hat sich beinahe die Beine abgelaufen – es singen Mantius, Bötticher, und Gura deklamiert u. Taubert – will nicht accompagnieren oder kann vielmehr nicht – nun, dann thut es ein anderer oder – Clara. Bald wird mein Concert – und Lohnbedienten Respekt gross dastehen – u. alles liegt zu unseren Füssen. Banck hat einen ausführlichen Brief von Clara erhalten; er könnte Dir in seinem traurigen Magdeburg einen Auszug aus Dankbarkeit, weil Du ihm meine Briefe zuschickst, schicken. – Clara hat gestern wieder auswendig gespielt u. thut es morgen auch – Rellstab muckst noch nicht darüber – aber die anderen erwähnen es – es wird schon mehr kommen. Lass Dir doch durch Wenzel die Staatszeitung vom 27. Febr. von Poppe bringen. – Banck! was sagen Sie zu der Recension von Clara’s Concert in der Schumannschen Zeitung? O, Schumann steht so groß als Redakteur wie ich als Lohnbedienter – bei der ersten Soirée warf ich einen Leuchter mit samt dem brennenden Licht auf die erste Reihe der Damen. – Für künftige Woche werden wir wohl einen anderen Saal nehmen müssen: es ist im Hotel de Russie alles besetzt, u. auf einen Operntag wollen wir nicht kommen, aber wir spielen doch solo – Rellstab mag schimpfen wie er will. Banck soll aber ja nicht in Magdeburg von unseren Nachrichten sprechen – es wird alles herberichtet. Jetzt geht der Concertdrödel los – morgen mehr.
d. 2. März, Triumph, Triumph. Clara hat Gestern Abend ihr Concert mit ihren donnernden Bravour-Variationen vor dem selben feinen Kennerpublikum beschlossen. Der Beifall war wieder ein Donner u. das furchtbarste Bravissimo. Im Opernhause Ali Baba, in Königsstadt Norma, grosse Soirée bei dem König, 2 Bettelconcerte in anderen Sälen u. Quartett bei Möser konnte uns noch nicht einen vollen Saal rauben. Alles, alles will übermorgen zu Ganz strömen u. den Schauspielhaussaal stürmen, um von Clara die im Opernhause gehörten Variationen von Herz noch einmal zu hören. – Stille, stille wir spielen bei diesen Juden (vor denen wir in anonymen Briefen jeden Tag gewarnt werden) nicht. Alles mündlich – unsere Neuigkeiten sind so viele, dass sie nicht mehr aufzuschreiben sind. Wir wollen den Kerls den Profit gönnen, aber nächsten Sonnabend, wenn die Billette gekauft sind, u. sie den Nutzen haben – was sie auch immer wollen – werden rothe Zettel angeschlagen seyn. Diese Juden würden auch gänzlich durchfallen, denn dieses totgemarterte Publikum beklatscht garnichts mehr in Concerten – keinen hiesigen Künstler, auch bei uns nicht, und Clara würde wieder wie bei Möser den Schauspielhaussaal zittern machen; als sich Clara bei Möser mehrmals bedanken wollte, indem der Beifall nicht endete, riss sie Möser, bei den Ellenbogen fassend, von den Brettern herunter. Und das nennt Rellstab in der gestrigen Vossischen Zeitung: „Clara Wieck hat durch brillante Variationen unterstützt“. Banck, was sagen Sie? Weder Rellstab noch irgend ein hier genannter Klavierlehrer war gestern darin, diese Kerle möchten bersten – ich kündige morgen die 3te u. letzte Soirée an – ob das Publikum es genehmigen wird, weiss ich nicht – alles schreit nach dem Schauspielhaussaal – ich mag mit dessen Orchester nichts zu thun haben. Kind es kostet höchstens 4 RL u. lass dir von Wenzel bei Linke die Vossische Zeitung aus unserem Berliner Treiben holen. Wer kann denn das alles schreiben? Heute Abend bei Redern Soirée vor dem diplomatischen Chor [sic!] und dem Hof, ausgenommen der König. Kind sey vorsichtig mit Verbreiten meiner Nachrichten: die Voigt schreibt alles wieder her an die Geensi pp, bedenkt, Du u. Banck, diesen furchtbaren Klatsch. Alle sagen, solcher Beifall habe nie in Berlin stattgefunden. Concertzettel schicke ich nicht mit, Du liest alles in der Vossischen Zeitung, es kostet zu viel Porto.
Die alte Hanne ist an einen Landstreicher seit ½ Jahre verheiratet u. ist noch ein Ochse. Sie war bei uns u. hat kein Wort gesprochen. – Bargiel ist schwach u. sie ein wüthendes, zügelloses Weib, dann leidenschaftlich, zu meiner Wuth, Clara höchst indignirt – u. mich ekelt, wenn sie in die Stube tritt. Den kranken Bargiel brauchte sie auch einmal zu uns. Uebrigens geht alles noch flott bei ihr. Spontini bekümmert sich gar nicht um uns, war auch in keiner Soirée – sie in der ersten - . Wir haben auch nicht Zeit, ihm nachzulaufen – brauchen auch Niemand – ich lasse mich durchaus nicht vom Orchester turbiren, u. nur auf Befehl des Königs wird der Schauspielhaussaal genommen.
Noch etwas – frage Herrn Whistling, ob er nicht ein altes theoretisches Buch von Matheson (vielleicht den vollkommenen Kapellmeister) von mir mit erhalten hätte. Er möchte mir den Titel einmal anzeigen oder sagen lassen, ob er mir nicht von diesem merkwürdigen Manne etwas verschaffen könnte. Gern möchte ich mit meinem Brief noch warten, um Dir heute von Redern etwas zu melden. Kann ich’s durchsetzen, so werde ich darauf antragen, dass sie bei dem Papa König spielt. Clara ist das Tagesgespräch und die Künstler rennen aus Verzweiflung mit den Köpfen gegen einander. Furchtbare Dinge sollen sie berathschlagen mit den Instrumentenmachern, um uns fortzutreiben. Adieu – ich habe nicht Zeit krank zu seyn – Gott behüte uns u. Euch – ach Gott, die Kinder.
Alles küsst
Fr – Wieck

  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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