23.01.2024

Briefe



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ID: 26617
Geschrieben am: Dienstag 28.03.1837
 

[Poststempel: Hamburg, 29. März 37]
Berlin [!] Früh 7 Uhr d. 28. März 37

Liebes Tinchen,
gestern Abend, nachdem wir über die letzten 8 Meilen einen ganzen Tag unter 1000 Zuckungen der Clara zugebracht, kamen wir hier glücklich an. 30 Meilen legten wir mit Spaß zurück, denn wir hatten einen vortrefflichen Kutscher. Ich fand gestern Abend bei Cranz nebst mehreren Berliner Liebes u. Freundschafts-Briefen, deinen zärtlichen vor u. eile sogleich zur Beantwortung. Tinchen, Du willst wohl Kraegen mit seiner eigenen Physharmonica fett begießen? Die kleine ist ja die seinige – das weißt Du ja – also schreibe ihm, sie ist gemacht u. er soll sie wieder erhalten, wenn er will – die große alte verkaufe ich nicht. Zweitens: laß Dir von Kühne das Geld schicken, da Du solchen Mangel u. Hunger leidest – per Post in Cuponanweisungen womöglich. – Kühne schreibt ja nicht, ob er den großen 6 ½ octavigen oder den 6 octavigen Stutz verkauft hat. Ich kann mich nun garnicht mehr aufs Lager besinnen, u. es muß alles bleiben, bis gegen Ende April, wo ich zurückkomme. Schreibe ihm, er soll 2 schöne Tafelförmige erhalten – aber nicht eher. Endlich ist es sehr schlimm, daß er keinen großen Flügel verkauft hat – der Organist in Hörbig wird doch nicht als Klavierspieler einen 6 octavigen Stutz kaufen wollen? Er muß einen großen nehmen – einen Stutz soll er nicht bekommen – das bringt keinen Ruf. Auch schreibe ihm ferner, daß ich bei solchen Preisen an den großen garnichts verdiente - aber an den Stutzen einbüße. Alles weitere, wenn ich selbst glücklich zurückgekehrt. Drittens: schreibe Tomaschek sogleich, Kind das weißt Du ja nun schon und mußt es aus meinen Briefen wissen, daß 12 Stück von Tomaschek noch lange nicht reichen würden für meinen Absatz diesen Sommer allein, daß er die 2 Instrumente Anfangs April je abschicken sollte. Überhaupt aber, da im Sommer besserer Transport, bessere u. leichtere Fabrikation sey, so möge er mir diesen Sommer so viel abschicken als möglich, wenigstens in jedem Monat 3 Stück u. wenn es seyn kann, nicht einzeln. Seine Umsätze für die 2 abgegangenen Mahagony seyen genehmigt u. Ende April, wo ich zu Hause wäre, sollte die ganze Summa auf einmal in Coupons ohne allen Abzug erfolgen. Er solle nur ja die Instrumente ordentlich fertig machen, egalisiren, keine stumpfen Töne darinnen lassen und gehörig intonieren. – Schreibe dies ja gleich. –
An Kühne schreibe noch, er würde für meine Rechnung von Berlin aus 2 6-octavige kürzere Flügel a 100 RL und 1 6½ octavigen a 20 RL (wenig gebraucht – in Kirschholz – der Diskant kann daran sehr verbessert werden durch gehörige Schränkung der Saiten) erhalten, womit seinem Bedürfniß abgeholfen sey. Ich habe sie angenommen gegen einen großen Concertflügel. Kind, die Bettelconcerte haben hier noch nicht aufgehört, und wenn sich künftige Woche schon nicht unser großes Concert im Apollosaal macht, was Cranz für unmöglich hält, so reisen wir gleich den 3. April wieder ab, um wenigstens nichts einzubüßen, u. eilen nach Bremen. Mich drängts u. treibts, ich sehe, mein Geschäft verlangt dringend meine Gegenwart, u. ich will lieber 200 RL Concerteinbuße haben, als 14 Tage später ankommen. Wir könnten ja am Ende in der Messe in Leipzig auch mit Vortheil ein Concert geben, ohne nöthig zu haben, uns in den theuren Hotels herumzudrücken. Hier logiren wir im Hotel de Petersburg am Jungfernstieg – der Tag 1 Louidor – punktum. – Jetzt geht’s zu Lily Bernhardt, Grund Polizei pp
[Claras Schrift!] Liebe Mutter, ein paar Worte will ich auch hinzufügen, obgleich in einer schrecklich langweiligen Stimmung. Das Wetter ist hier so unaufhörlich schlecht, es schneit und regnet, es scheint wieder einmal die Sonne, mit einem Worte, es ist schrecklich. Man kann den Fuß nicht auf die Straße setzen, und man ist erkältet. Wir sind also nun 4 Tage gefahren unaufhörlich, doch hab ich bedeutend von meiner Angst verloren bis gestern, wo wir von Boitzenburg bis hierher den furchtbarsten Weg hatten und mehrmals schon beinah umlegten. Meine Angst erwachte wieder auf’s Neue in all ihrer Kraft, und heute hatte ich schon wieder von Neuem Angst, denn des schlechten Wetters wegen muß ich mich mit dem Vater in eine Droschke (die hier jedoch besser sind als in Berlin) setzen und nun in den engen Straßen Hamburgs (was jetzt einen traurigen Anblick darbietet) herumfahren. In sieben Wochen war keine Sehnsucht in mir erwacht, doch hier ist es mit aller Stärke losgebrochen, jetzt erst merke ich, wie sehr es mir doch in Berlin, ohngeachtet der Cabalen, gefallen. Vielleicht macht es sich hier auch bald, doch nun ist einmal die Sehnsucht wach geworden, und nun wird es nicht lange dauern, bis wir zu dem Leipziger Thor hereinfahren. Ein schöner Tag.
[Wiecks Schrift] d. 29. früh 7 Uhr In diesem großen Hamburg sind sie so verhungert nach ächten Künstlern, daß unsere Ankunft wie ein Lauffeuer durch die Stadt gegangen. Von Parisch bekamen wir gestern schon eine schriftl. Einladung zum Sonntag Mittag, obgleich wir erst heute die Aufwartung machen. Den 8ten (siehe, was ich alles gestern schon durchgesetzt) erstes Concert im Apollosaal ohne alle Begleitung, bloß mit Sängern, wozu mir Gott hier verhelfe. Jedoch Zschiesche hat schon an die hiesigen Theatergänger vorausgeschrieben. Mein Instrument fand ich bei Lily ¼ Ton tiefer u. in schlechtem Zustand. Heute kommt es erst her u. muß beledert werden. Wie Clara nun üben soll (übermorgen ist schon die Probe) weiß ich nicht. Gaty, Grund, der grobe Canz nun auch (er ist verstimmt über Clara’s Spiel und weiß von nichts – es gefällt ihm aber nicht), alle sagen, ohne Concerte kommen wir nicht fort von hier. Heute morgen liegt der Schnee eine Elle hoch – wie es gestern Abend hier geschneit hat, so etwas habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Mit Logissuchen habe ich ungeheuer Pech – es ist hier wie in Berlin – ich kann kein zweckmäßiges finden u. klebe nun hier fest. Nun wir werden wohl am öftesten bei Cranz essen u. ersparen dadurch hier allemal 1 RL 12 gr. Heute steht Clara’s Ankunft schon in Zeitungen. Gestern Abend waren wir in dem Concert des traurigen Spieluhren-Kaufmanns aus Dresden. Es war wieder leer, so wie alle Concerte hier – man spaart wohl für uns? Es kann wohl seyn. – 9 Uhr der tiefste Wintertag – man möchte Licht anzünden. Schreibe an Tomaschek noch: wenn er etwas Gutes hätte, brauchte er niemals erst anzufragen, ob er schicken solle, sondern er solle abschicken u. bloss anzeigen, daß er abgeschickt. – Heute Abend geht der Brief erst ab – Cranz sagt, er kommt ebenso zeitig mit der heutigen Post an.
Nachmittag 3 Uhr Das Wetter ist furchtbar – zum fortkommen ist garnicht u. ich bin willens, eine Schillingsfabrik anzulegen zum Besten der Hamburger Droschken.
Clara hat nicht Zeit an Banck zu schreiben. Willst Du ihm diesen hier schicken, so thue es – er wird in Sorgen seyn. Unser Hauptsänger Wurda ist krank – was wird aus unserem Solo-Concert werden? Wir waren bei Parisch. Er hat uns nächsten Sonntag zum Mittag eingeladen – Georg war auch heute oben – aber wir konnten natürlich nicht nach der Camilla fragen – gehen aber morgen hin, zu unserer Subsription ist es durchaus nöthig – der alte ist jetzt zurückgetreten u. Georg ist alleiniger Chef der ganzen Handlung.
Ich küsse Euch alle –. Nächstens mehr
dein
Fr. Wieck

  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
Absendeort: Berlin
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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