23.01.2024

Briefe



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ID: 26621
Geschrieben am: Montag 01.01.1838 bis: 1838-31-12
 

Wien [ohne Datum]
Anekdote von 2 Fiackern vor unserer Thür auf dem Mehlmarkt: Erster: hast Du gelesen von dem Streit in der Allgemeinen? (die Allgemeine wird hier überall gelesen) Zweiter: ne, was ist denn wieder los? warum denn? Erster: Na, übers Gemischte. (gemischte Ehen) (Gemischtes ist hier ein ganz gewöhnliches Bier – Maerzenbier u. Kaiserbier untereinander gemischt – ein schöner Trank – ich trinke Regensburger, theuer genug u. halb so stark als das Nürnberger – wird hier extra noch gewässert.) Zweiter: Was? uebers Gemischte? Das fehlte noch. Erster: freilich, alle Tage ist die Allgemeine voll davon – in allen Kaffehäusern kannst Du es lesen. Zweiter: sag’s doch, sind denn die Kerle nicht gescheut; sich übers Gemischte zu zanken? Erster: na, der Eine hat wollen ein Gemischtes haben u. der andere hät’s ihm nicht gegeben. Zweiter: was hat denn da der Eine gethan? Erster: er hat ihn nausgeschmissen. Zweiter: das hat er recht gemacht. (was Essen u. Trinken anlangt, versteht man hier keinen Spaß.)
N. 2 Ein blutarmer Schulmeister aus Schottenfeld hat ohngeachtet alles Zuredens von allen Seiten 5 Concerte der Clara glücklich überstanden ohne hineinzugehen u. freuet sich, und sagt bei dem fünften Concert „Gott sey Dank, das wird doch das letzte seyn, wie kann denn das die Wienerstadt aushalten? – Jetzt wird das letzte angekündigt u. sechste. Gott, fängt er an, es soll ja schon merkwürdig seyn nur die Kutscher auf dem ganzen hohen Markt zu sehen – die Fiacker erzählen ja davon in allen Bierhäuseln, - nu muß ich doch meine 4.20 Xr auch neintragen u. soll ich auf der Treppe stehen bleiben.“ Er hat auch richtig mit seinen 4 xr gezaudert u. gezögert bis zum Anfange des Concerts u. hat müssen in der Thür stehen bleiben. Beim Herausgehen sagte er, wie froh kann ich seyn, das ich erst ins Sechste gegangen bin, denn wäre ich gleich ins Erste gegangen (mit Thränen im Auge) so hätte ich ja müssen in alle sechse gehen? Ich weiß doch auch, was Klavierspielen in der Wienerstadt ist, (diese Leute spielen hier alle ungewöhnlich gut mechanisch) aber die spielt einem ja das Herz aus dem Leibe, daß einem Essen u. Trinken vergeht.
N. B. Ich suche eben seinen Namen ausfindig zu machen, um ihm seine 20 xr unversehrt wieder zuzustellen. – Wie viele arme Leute aus den äußersten Vorstädten haben ihre sauren 20xr hereingetragen; es war aber nicht zu ändern – die Preise durfte ich nicht heruntersetzen. Nun, im Theater u. auf den Sonntag bei dem kleinen Mayer werden sie wohl den Saal stürmen. Das ist Liebhaberei (Du kannst dem Herlessohn diese Anekdote mittheilen – er wird sie dankbar aufnehmen). Täglich hört man hier äußerst treffende volksthümliche Anekdoten (aber freilich im Volksdialekt). Abschrift aus dem Morgenblatt über das 5te Concert der Clara Wieck:
„D. Clara Wieck hat unser musikalisches Publikum in einem 5ten Concert entzückt; das Erscheinen dieser Künstlerin kann als Epoche machend betrachtet werden, denn die höchste Kunstfertigkeit mit der größten Genialität vereint wie dies hier der Fall war, dürfte sich nur selten vorfinden. D. Wieck zeigte auch da, wo sie fremde Compositionen spielt, ihre eigene Genialität, ihr Auffassungsvermögen, mit welchem sie in das innerste Mark jeder Komposition einzudringen weiß. Unter ihren schöpferischen Händen gewinnt die gewöhnlichste Passage, das alltäglichste Motiv eine höhere Bedeutung, eine Färbung, wie sie nur die höchste Vollendung in der Kunstwelt zu geben vermag. In ihrem 5ten Concert spielte Clara W. ein höchst geistvoll componirtes Capriccio von Mendelssohn-Bartholdy, eine Fuge von Sechter, ihre liebliche Mazurka, eine Etüde von Henselt u. äußerst schwierige Variationen von Chopin, in neuem romantischen etwas phantastischem Style gehalten.
Nr. 3 Einige Tage darauf die beiden Fiacker. Zweiter: höre einmal, ich war auf dem Kaffehaus, die Sache ist ja ganz ernsthaft und die Gelehrten schreiben so viel darüber. Das kann ich doch nicht begreifen. Erster: Du mußt nur wissen, der’s Gemischte hat haben wollen, war der König von Preußen und – der Kellner [Cöllner] hat’s ihm nicht geben wollen. Zweiter: ja, nun wird mir die Sache klar. (Du mußt dir aber das in der Volkssprache denken.)
d. 26. früh 11 Uhr nach der Probe im Theater. Um 7 Uhr ist „die Musikalische Akademie der Dem. Clara Wieck im k. k. Hofoperntheater“ angeschlagen worden, und um 10 Uhr waren schon alle Sitze vergriffen. Diese musikal. Akademie könnte Schumann anzeigen in seiner Zeitung.
d. 27. denke Dir, viele 100 Menschen mußten fortgehen, dann war aber das Haus so voll, wie seit Jahren nicht – viele Menschen konnten nichts sehen u. hören – der Kaiser, die Kaiserin, Sophie, die Erzherzöge, alle waren darin u. haben auch geklatscht. Clara wurde 8 mal gerufen u. spielte zuletzt noch das „Vöglein“. Siehe, dieser Palucchino hat uns den schlechtesten Tag gegeben, zwischen Clara’s Stücken statt Gesang 2 elende Ouverturen spielen lassen, und nachher das kleine Ballet „stell dich ein“, was keine Maus mehr ins Theater lockt u. – solchen Erfolg? Das hatte nie hier ein Künstler, das hat die dumme Opposition, die sichtbaren Kabale u. der persönliche Antheil der Clara erzeugt. Aber ich – ich kann die Spannung nicht mehr aushalten. Clara hatte sich gestern z. B. den Arm erkältet u. klagte sehr über Schmerzen – wo so viel darauf beruht. Es ist erschrecklich, wo kommen nur die Menschen her, um Clara zu hören? – Dieser Groß-Hoffinger schimpft so erbärmlich u. dumm in seinem Adler, daß er auf allen Kaffeehäusern verlacht wird, z. B. was sagt er übers Trio von Beethoven: oben darüber: Boehm und Merkel (statt Merk): diese Herrn haben ein großes Trio von Beethoven aufgeführt, u. den großen Geist desselben dem Publikum verkörpert wiedergegeben. Dem. Wieck accompagnirte fertig dazu. – Hast Du ein größeres Rindvieh gesehen – u. solch‘ einem Publikum gegenüber? Hierbey ein Brief an Clara’s Mutter. Mache ihn zu u. schicke ihn sogleich auf die Post. – Dem Erfolg nach könnte Clara noch 10 mal im Theater spielen, aber wir machen den Director reich u. ich habe für meine furchtbare Angst u. das ewige Studieren der Clara zu wenig. Controlle ist nicht u. so wird er uns wohl nur 200 Th für 1 mal geben. Heute ein wunderschöner Frühling. Lachner ist gekommen u. 9 Tage mit Lohnkutscher von München hergefahren. Die Wege sollen fast nicht zu passiren seyn. Morgen wollen wir nach Hitzingen gehen, wenn es zum fortkommen ist. – Bancks Brief habe ich erhalten. Schreibe ihm – ich kann nicht antworten. Hast Du denn nicht an Rakeman Claras Variationen geschickt.
d. 28. Nun ist dies ungeheure Tanzen vorbey. In den letzten Tagen fingen die Bälle Mittag 12 Uhr an. Der Brief verschiebt sich immer von einem Tag zum andern. Das beifolgende Gedicht ist von dem Secretair der Fürstin „Clary“, der Teplitz gehört u. die auch unsere Concerte besucht hat.
Dem Preussischen Windbeutel und Lügner, dem hiesigen zweiten Capellmeister Nicolai, der sich hier ganz kindisch und charakterlos zeigt, habe ich eben abgeschlagen, in seinem Conzert zu spielen; das fehlte noch – seine Frechheit ist ungeheuer.

  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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