Pesth d. 18 Nov. 1858.
Liebste Mila,
seit wie langer Zeit schon wollte ich Dir immer schreiben – Gott weiß, wie oft ich Deiner gedachte! rechne mir aber das Schweigen nicht an, ich konnte wirklich nicht, denn ich verbrachte einen schlimmen Sommer und war noch im Septbr. wo ich zum Besuch zu Frl. Leser nach Düsseldorf ging, dort vier Wochen so elend nervös, daß ich Nichts thuen konnte. Erst seit Anfang d. M. fühle ich mich etwas kräftiger, und so siehst Du mich auch schon wieder auf der Wanderung. Als ich neulich Frau v. Eisenstein sprach, da fiel mir meine Schuld wieder recht schwer auf’s Herz, und so benutze ich das erste freie Stündchen hier, Dir meinen Gruß zu senden. Wie viel hätte ich Dir zu sagen, müßte ich nur nicht so sehr meinen Arm mit Schreiben – schonen, denn immer klarer wird’s mir, daß die Schmerzen vielmehr Folge von Ueberanstrengung der Muskeln, als des Rheumatismus sind – dazu kommt eben auch körperl |2| Schwäche, die ich leider täglich empfinde. Liebste Mila, der Kummer nagt an mir, wie sich’s Niemand denken kann! ich arbeite, lebe in der Welt, erscheine den Leuten die durch die Kunst Beglückte, ach aber, wie’s im Innern aussieht, das ahndet Niemand. Ich fühle das Glück der Kunst nur, indem ich sie ausübe, oder durch Andere genieße, dann aber um so größere Leere! –
In Wien habe ich ein Mal gespielt, mit großem Beifall, und denke dort am 5ten Dec. Concert zu geben, vorher jetzt hier. Hier traf ich Pauline Viardot, die einen Cyklus von Gastrollen giebt. Sie ist ganz die Alte, Liebe! –
Diesmal habe ich Marie mit mir, sie ist gut und lieb, wäre sie nur etwas reifer, daß sie mehr genösse, was sie umgiebt – sie duselt noch in die Welt hinein.
Kürzlich hörte ich, daß Elise in Jena gewesen. Wie hat sie Fritz gefunden? ich hörte seitdem von verschiedenen Seiten, daß bei Stoy’s mehr auf körperl Gedeihen als geistige Entwicklung gesehen würde, mit kurzen Worten, daß die Kinder dort nicht viel lernten. Nach meinen Knaben kann ich nicht urtheilen, da Dieselben überhaupt in ihrer Entwicklung zurück sind, aber Elise kann es jedenfalls besser. Wie fand sie meine Knaben?
|3| Willst Du so gut sein Elisen sehr zu danken für den Brief, welchen sie mir nach Gött. sandte. Ich kann Ihr nicht schreiben heute, wegen meiner Hand, und dictiren kann ich für Euch nicht, das würde nicht voran gehen. Ich muß es sonst oft jetzt thuen. Es ist ja auch Ein’s, wenn ich schreibe.
D. 19ten.
Gestern wurde ich gestört – erst Besuch, dann Hugenotten, die ich seit 13 Jahren nicht gehört hatte. Erinnerst Du Dich, was mein Robert darüber geschrieben? ich finde, er war noch viel zu mild, das ist wahrhaft unmoralische Musik.
Von Lina hörte ich so gern, wie es ihr geht? und wie mit Ihrem Manne? und Eurer lieben Mutter, ist sie wohl?
Ich habe jetzt im Hause ein sehr liebes Mädchen, die den Kindern wie eine Mutter ist, und so habe ich nun endlich meinen Wunsch erreicht Alle Kinder, außer den Knaben, wieder beieinander zu haben. Elise ist im Septbr. confirmirt worden, und Julie zur selben Zeit von der Großmutter zurückgekehrt.
|4| Joachim wollte erst mit mir hierher gehen, leider erhielt er keinen Urlaub, und wird nun wohl seinen Abschied nach Verlauf des Winters ernstlich nehmen. Wäre er mit gekommen, wir hätten glänzende Concerte hier und in Wien gegeben, denn hier hörte man ihn seit seinem 9ten Jahre und in Wien seit dem 14ten nicht. Und, abgesehen von allem, welch ein Labsal wäre es für mich gewesen!
Nach München werde ich wohl so bald nicht kommen – mit Rom ist nichts, da Landsberg gestorben, und Du weißt, verdienen kann man in München nichts, und leider bin ich nicht Capitalistin, denn dann besuchte ich Euch.
Antwortest Du mir noch in diesem Monat, so thue es hierher „Hôtel de l’Europe[“] später Wien bei „Diabelli’s Musikalienhandlung am Graben“.
1 000 Grüße Euch Allen, herzlichsten Kuß Dir von
Deiner getreuen
Clara.
Verzeihe die zwei halben Bogen – ich hatte mich versehen.
Brahms hat seine Stellung am Detmolder Hof wieder angetreten. Er hat Herrliches wieder componirt, auch u. A. wundervolle Lieder.