23.01.2024

Briefe



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ID: 26731
Geschrieben am: Samstag 17.11.1860
 

Berlin d. 17 Nov. 1860
Meine liebe Elise,
wie lange lag es mir schon am Herzen Dir für Deinen lieben Brief, für den ich Dich am liebsten gleich umarmt hätte, zu danken – ebenso auch Emilien, Ihr müßt aber wirklich Nachsicht haben – ich kann wirklich mit der größten Anstrengung kaum das Nöthigste besorgen; mir ist oft so, als könnte ich gar nicht mehr Alles denken, so viel stürmt immer auf mich los, dabei die viele Musik, die ich doch im Kopfe haben muß – glaube mir, es ist keine Kleinigkeit! – Julie sollte viel verständiger |2| sein, als daß sie murrt, wenn Marie ihr statt meiner schreibt, Marie thut, was ich ihr sage, es ist also ja gerade als ob ich schreibe.
Sehr froh bin ich über die guten Nachrichten, die Ihr mir immer gegeben, und Julie selbst schreibt auch so vergnügt, daß ich ganz beruhigt über Alles bin, nur nicht über ihre Haltung! bei jungen Mädchen, oder vielmehr Kindern, (denn das ist sie noch vollkommen) hilft der Wille noch nichts, darum bin ich darüber auch nicht eher ruhig, als bis sie einen ordentlichen Geradehalter trägt. Ueber Dr Pfeuffer bin ich wirklich böse, daß er sich nicht um das kümmert, |3| worum ich Ihn so dringend bat, und was doch gerade Er als Arzt <um> am ersten als wichtig genug erkennen müßte.

Euere Einrichtungen, liebste Elise, sind mir Alle sehr recht, nur das Zeichnen nicht, das giebt erst recht Gelegenheit zum krumm sitzen, und ich möchte nicht, daß Julie eine Stunde mehr säße, als zu ihrer Bildung nothwendig. Eine Künstlerin im Zeichnen wird sie doch nie, dann müßte sie die Musik lassen, alles Halbe aber hasse ich; laß sie diese Stunde zum „vom Blatt lesen“ z. B. anwenden, das nützt ihr mehr, und kostet ihr nichts an ihrer Gesundheit, mindestens nicht so viel Augenlicht.
Mit dem Instrument hat |4| sich die gute Mila recht ereifert – es war ja nicht so schlimm gemeint! ich weiß ja sehr gut, daß Ihr es nicht anders einrichten konntet, mir war es nur eine etwas bittere Pille – jetzt ist sie verschluckt. Sag der lieben Mila, sie soll mir nicht zürnen, überhaupt habt Beide Nachsicht mit mir, wenn ich zuweilen etwas schroff ausspreche, ich bin wirklich oft recht nervös von allen materiellen wie geistigen, künstlerischen Sorgen, das aller verschiedenartigste geht mir ja fortwährend durch den Sinn. Leider will es mir diesen Winter noch gar nicht glücken mit dem Verdienst, überall Blasirtheit, Uebersättigung, so daß auch das Gute nur ein kleines Publikum findet.
|5| In Dresden gab ich mit Joachim zwar drei brillante Concerte, da gab ich aber natürlich Ihm die Hälfte, und hier ist die Zeit sehr ungünstig! Beifall genug, doch wenig Einnahme. Ich will nun mein Heil einmal in Belgien versuchen, gehe nächste Woche nach Leipzig, von da am 7ten Dec. direct nach Belgien. Nach München kann ich, wie Du siehst, vor Weihnachten nicht kommen, vielleicht im Januar! – Doch, bitte, macht Julien keine Hoffnung darauf, es liegt ja noch gar zu sehr in grauer Ferne!
Emilie hat mir gar nichts wieder mitgetheilt, wie es mit Euerer Seide geworden ist? habt Ihr sie wiederbekommen?
|6| Emiliens Vorschlag, zur Confirmation Julien’s nach München zu kommen, kann ich nicht eingehen, weil ich schon Ende März nach England gehe. Da fällt mir ein, ich wollte Dich bitten das Armband nicht Julien zu geben, ich finde es zu viel, wenn ich ihr, was ich bei den Andren gethan, Kette und Medaillon mit den Haaren ihres Vaters schenke. Ich hatte das nicht überlegt – Letzteres macht ihr jedenfalls mehr Freude, als ein Armband, wozu es so auch eigentlich noch zu früh.
Bitten wollte ich Dich nun mir mitzutheilen, was wohl Julie brauchen könnte, damit ich doch Etwas zu Weihnachten ihr zu schenken weiß. Bitte, vergiß das nicht.
|7| Herrn Reinberger grüße von mir. Bärmann ist aber ein unhöflicher Mensch.
Noch Eines: wenn Julie Euerem Gesangverein beiwohnt laß sie nur ja nicht mit singen – das darf sie jetzt nicht.
Doch ich muß nun schließen. Nehmt Beide, Du und Emilie, auch Deine verehrte Mutter meinen wärmsten Dank für Alles, was Ihr stündlich an Julien thut, und seyd überzeugt, daß keine Stunde vergeht, wo ich nicht Euerer Liebe und Aufopferung gedächte, aber noch einmal bitte ich Euch um Nachsicht, wenn ich nicht schreibe – ich kann es aber wahrhaftig nicht – für diesen Brief heute bin ich eine Stunde früher aufgestanden, sonst wäre es auch heute unmöglich gewesen. |8| Noch dazu leide ich diesen Winter Tagelang an den heftigsten Schulterschmerzen, wovon ich zwei Winter ganz befreit war.
Meine Adresse ist bis zum 6<t>ten December bei Frau Frege in Leipzig. Laßt mich recht bald wieder von Euch hören, und ja immer recht offen, ob Julie auch Euere Zufriedenheit sich erwirbt – Du weißt, ich gehöre nicht zu den Müttern, die <Ihre Kinder> blind gegen die Fehler ihrer Kinder. Brummt auch Julie nicht mehr? ist sie geduldig bei’m Unterricht der Cilla??? Küsse Deine Kinder auch von mir, und bleibt gut
Euerer
getreuen
Clara.
Marie grüßt sehr. Sie ist aber beleidigt, daß Julie mit ihren Briefen nicht zufrieden

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Pacher, Elise von, geb. List (1162)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
385-388

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 88a/b/c/d
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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