Spa d. 3 Juni 1861
Meine liebe Elise,
Du hättest wohl Grund mir zu zürnen, daß ich Dir nicht früher antwortete, doch hatte ich wirklich immer so Vielerlei im Kopf und auf dem Herzen, die Kinder machten mir ’mal wieder so viel zu schaffen, dazu auch wieder die künstlerische Thätigkeit, und nun auch noch eine große Hauptsache, allerlei Nachdenken wegen Julien, daß ich nicht zum Schreiben kam. Und nun komme ich Dir im letzten Moment Deiner Anwesenheit noch mit meinen Scrupeln, aber gerade dieser letzte Moment bestimmt mich, sie Dir auszusprechen. |2| Ich ersah aus Juliens letztem Brief an Marie, daß ihr eine Hochzeitreise vorhabt, ferner batest Du mich, Julie selbst in Wien abzuholen, was mir aber unmöglich sein würde, da ich gerade zu der Zeit wieder Concerte vorhabe, gerade am entgegengesetzten Ende Deutschlands; wegen Ersterer fiel mir ein, bleibt am Ende Emilie Julien’s halber zurück? das wäre mir sehr leid! – Ueber Juliens musikal Leitung habe ich auch viel nachgedacht, und sehe keine Gelegenheit, wie sie in Schönau zu bewerkstelligen? käme auch Frl. v. Asten Sonntags nach Schönau, so kostet doch schon die Fahrt hin und zurück viel mehr als solch eine Stunde für Julie Werth haben kann. Meine eigenen Pläne haben sich aber so gestaltet, daß ich diesen |3| Sommer doch mehrere Monate herausfinden würde, wo ich Julie ungestört selbst unterrichten könnte, während im Winter daran kein Gedanke ist. Ferner würde Juliens Sehnsucht nach mir und den Geschwistern im October und dann den ganzen Winter hindurch kaum befriedigt werden können, denn sie würde nur mit den beiden Jüngsten allein zu Hause sein, da Marie mich wieder auf Reisen begleitet, was sich aber erst in diesen Tagen entschieden hat, und zwar dadurch, daß Elise mich besuchte, und ich (für mich muß ich leider sagen) aus ihrem ganzen Wesen ersah, daß sie es nicht als ein Glück, sondern einen Zwang ansieht, wenn ich sie von Frau Böcking fortnehme, für die sie schwärmt, welche sie ganz hält wie eine älteste |4| Tochter. So glücklich dieß nun auch einerseits ist, so begreifst Du wohl, wie es andererseits meine Pläne mit Elise für jetzt gänzlich umwirft. Meine Vernunft sagt mir, daß es nicht gerathen ist, sie ihrer augenblicklich glücklichen Lage zu entreißen, es würde nur ihren Wiederspruch reitzen, während, wenn ich es ruhig gehen lasse, vielleicht doch bald die Zeit kömmt, wo sie selbst fühlt, daß sie geistig und künstlerisch dort nicht fortschreiten kann. Ach, es ist so unendlich schwer zu entscheiden in Sachen, wo das Herz doch immer seine Ansprüche geltend macht. Nun in Kürze das, meine liebe Elise, daß, willst Du mir Julie, statt sie mitzunehmen hierher schicken, ich sie jeden Augenblick mit Freude empfange, jedoch |5| es Deinem Gutdünken und Wunsche es überlasse, ob Du sie mir schickst, oder sie mitnimmst. Ich würde, jetzt im letzten Momente, anstehen, Dir zu sagen, „schicke sie mir“ denn ich kann ja nicht wissen, ob Du es nicht vielleicht wegen einer Gesellschaft für Hedwig wünschest, sie mitzunehmen! und wie ungern würde ich einem Wunsche von Dir, die Du Julie mit so herzlicher Liebe aufgenommen und gepflegt hast, entgegentreten. Julie selbst hängt mit so vieler Liebe und Dankbarkeit an Dir, daß ihr der Abschied von Dir trotz der Sehnsucht nach den Ihrigen, schwer genug werden wird. Sie schrieb neulich einmal, „könnte nur Frau v. Pacher mit nach Berlin ziehen, dann |6| fehlte mir nichts – der Abschied von Ihr wird mir recht schwer werden.“ Du begreifst, daß ich mich über diese Aeußerung sehr gefreut habe.
Willst Du mir Julie schicken, so ist das leicht zu bewerkstelligen, sie fährt Früh von München ab und ist Abends in Cöln, dort erwartet sie Hiller und mein Bruder, bei Hillers bleibt sie die Nacht, andern Tags fährt sie <noch> hierher – das Weitere würde ich gleich mit Hiller besprechen. Marie16 würde sie dann an der französischen Gränze erwarten, Mittags wäre sie schon bei uns. Schreibst Du oder Emilie eine Zeile am 5ten, <von[?]>und reist Julie am 7ten ab, so kann ich sie am 8ten hier erwarten, ich thelegraphiere dann an Hiller, dem ich vorläufig |7| schon darüber schreibe, daß er sie an der Eisenbahn erwartet. An Julie selbst schreibe ich heute nicht, sondern bitte Dich, nimmst Du sie mit, von meinem Vorschlage gar nichts zu sagen, nur im anderen Falle ihr Deinen Entschluß mitzutheilen. Bitte, liebste Elise, mache Dir um meinethalben keine Scrupel, nimmst Du Julie mit, so genießt sie bei Dir die Vortheile eines geregelten ┌ ruhigen┐ Lebens ┌ u A. ┐ schickst Du sie mir, den Vortheil, daß ich sie in der Musik weiter bringe, Beides scheint mir gleich wichtig, da aber doch nur das Eine zu erzielen, so ist mir Alles recht, was Du darüber bestimmst. Nimmst Du sie mit, so schreibe ich jedenfalls an Julie v. Asten, vielleicht läßt es sich einrichten, daß Julie mitunter wenigstens bei ihr spielt. Kannst Du nicht, so laß die liebe Mila mir ein Wort schreiben, |8| nur Deinen Entschluß, denn Zeit zu mehr möchte Euch doch kaum bleiben.
Laß mich auch Deine Adresse in Wien wissen, Julie vergaß sie uns zu schreiben.
Verzeihe, daß ich Alles so unlogisch durcheinander geworfen habe, aber Du kannst Dir denken, wie schwer mir dieser Brief geworden – ich möchte so gern, daß Du mich in Nichts anders verstündest, als wie ich es gemeint! Ich habe ein so unbegränztes Vertrauen in Deine Liebe zu mir, daß ich mit Allem einverstanden bin, was Du thuen wirst, denn gewiß entspringt es nur dem schönsten Gefühle.
Grüße Alle herzlichst!
Wie immer Deine
dankbare
Clara.
<„Spa,> „Palais de Westminster Nro 9A. Spa en Belgique.[“]