Leipzig d. 16 Dec. 1861
Meine liebe Elise,
mit welch erschüttertem Herzen ich Dir heute schreibe, kann ich Dir nicht sagen, ich kann nur Deinen großen Schmerz in seiner ganzen Gewalt mit Dir empfinden, Du armes schwer geprüftes Herz. Bei solchem Verluste verstummt Einem fast jedes Trosteswort, und man kann nichts als Gott bitten daß er Dir die Krafft gebe, das Unglück zu tragen, für Deine anderen lieben Kinder Dich gesund erhalte.
Meine theuere Elise, thue |2| was Du kannst, Dich dem Schmerze nicht ganz zu überlassen – der Himmel hat Dir ja noch zwei theuere Kinder gelassen, und wird sie Dir zur Freude, zum Troste gedeihen lassen. Halte recht fest an dieser Hoffnung.
Wie Julie außer sich ist, kannst Du Dir denken – es ist der erste wirkliche Schmerz, den sie erfahren. Man kann es sich gar nicht denken, das liebliche, süße Kind, so mit einem Schlage dahin! Ach, könnte ich Dir helfen |3| tragen, Du Arme!
Es ist Dir vielleicht lästig, daß ich Dich mit diesen Zeilen in Anspruch nehme, ich kann aber nicht anders, ich mußte es Dir sagen, wie tief ich Dich beklage, wie innig ich Seelenstärke für Dich vom Himmel erflehe – freilich muß die eigne Willenskraft immer das meiste thuen, das, liebste Elise, habe ich in den schwersten Zeiten erfahren. Du hast oft schon Deine Stärke gezeigt, und wirst es auch jetzt um Deiner Kinder willen.
|4| So leb denn wohl, grüße die gute Mila, Deine arme Mutter – wie schwer mögen auch sie leiden – und glaube, daß ich, trotz allem Troubel’s, oft mit vollstem Herzen bei Euch bin. Die liebe Emilie bitte ich dringend, mich recht bald mit ein paar Zeilen wissen zu lassen, wie es Euch Allen körperlich geht, ob Ihr gesund seyd?
In treuer Liebe umarmt Dich Deine
Clara.
Julie schreibt Dir später – sie ist so außer sich, daß es besser ist, sie wartet noch.
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