23.01.2024

Briefe



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ID: 26747
Geschrieben am: Montag 14.07.1862
 

Münster am Stein d. 14 July 1862.
Meine liebe Emilie,
eine rechte Enttäuschung bereitete mir Dein Brief! ich bekam ihn nämlich, als ich gerade Besuch bei mir hatte, so konnte ich nur einen flüchtigen Blick hineinwerfen, und las „Schweiz“ was mir einen freudigen Schreck verursachte; ich war ganz zerstreut geworden, denn ich malte mir schon aus, wo wir uns treffen würden ect. Nachher war ich freilich nur um so betrübter, als ich Eueren Entschluß in’s Seebad erfuhr! die Luft 4 Wochen auf dem Rigi hätte sicher Elisen denselben Dienst geleistet, denn sie ist wirklich von wunderbarem Einfluß, dazu die herrliche Natur! |2| Leider kenne ich in Boulogne und Dieppe keine Seele, kann Euch also gar nichts nützen. Lieber brächte ich Euch ganz ab davon, und auf den Rigi, wohin ich Ende d. M. abreise mit Marie und Julie. Ihr geht es jetzt etwas besser, obgleich sie ungeheuer geschont werden muß. Leider hat sich meine Angst wegen ihrer Haltung als sehr begründet erwiesen. Dr Trautwein, ein ausgezeichneter Arzt, hat sie neulich untersucht, und gefunden, daß in Folge nachlässiger Haltung ihre Lungenflügel nicht vollkommen ausgebildet sind, <ab> der Rücken schwach geworden ist, kurz, daß alles Mögliche geschehen muß, um gut zu machen was möglich. Ich habe ihr gleich ein Corset von Leder machen lassen müssen, welches sie fortwährend an die Haltung |3| erinnert, und im Winter soll Sie Heilgymnastik treiben. Nun siehst Du, wie sehr recht ich hatte mit meinen Befürchtungen! – Dabei hat sie etwas Bleichsucht und muß sie ganz besonders kräftige Kost haben, darf gar nichts Süßes, nichts Saures essen, kurz in der aller strengsten Diät leben. Gehen darf sie auch nur wenig, denn Alles ermüdet sie. Sie erzählte mir neulich einmal, sie habe in Schönau oft zwei Mal täglich gebadet, damit kann man sich aber furchtbar schaden, warne doch ja die Deinigen davor – Julie sagte, Ihr thätet es auch oft. Du kannst Dir denken, wie groß meine Sorge ist, und daß sie mir den Sommer sehr zu einem schweren macht. Die Empfindlichkeit hat sich etwas gebessert, aber doch erst, nachdem ich Ihr entschieden meinen Plan mittheilte, sie zu einer Freundin auf’s Land zu bringen, weil ich das nicht aushalten könne ect. ect. |4| Im Winter muß ich das nun wirklich thuen, denn sie muß unter eine ganz gewissenhafte Aufsicht kommen, wo sie so einfach wie möglich lebt, wo ein Tag wie der Andere hingeht, ohne jede Aufregung. Zu Hause mit Elise allein geht es nicht – Elise ist noch zu jung, um daß Julie Ihr gehorchen würde, auch hat Elise selbst viel zu wenig Erfahrung; Marie muß wieder mit mir reisen, und bleibt mir keine andere Hülfe.
Was Ihr hier bei uns fehlt, weiß ich jetzt genau, sie hat viel Hang zur Sentimentalität, und da fehlt es Ihr an einer Freundin, die mit Ihr schwärmt, im Mondschein im Garten wandelt ect. es ist ein unbestimmtes Sehnen in Ihr, was <sie> Ihre lebhafte, schwärmerische Natur mit sich bringt. Ich denke, das hat seine Zeit, und wird sich nach und nach vermindern. Gott gebe, daß dieser Sommer sie stärkt, und sie im Winter dann auch eine mäßige aber geregelte Thätigkeit wieder beginnen kann.
|5| Den Schmerz der armen Elise begreife ich sehr gut – ich muß so oft daran denken, wie Ihr das liebliche Kind fehlen muß, und Euch Allen! – Möchte das Seebad sie doch recht körperlich stärken, dadurch gewinnt dann doch auch der Geist mehr Stärke. Uebrigens hat sie Diese doch sehr bewiesen – man kann wirklich sagen, je größer das Unglück jemehr Krafft der Himmel Einem verleiht. – Grüße die liebe Theuere herzlich von mir, und Alle. Ich hoffe nächstens wieder von Euch zu hören, und daß es Euch gut geht!
In alter Treue umarmt Dich Deine
Clara.
Julie grüßt sehr! –
Verzeihe die flüchtige Schrifft – ich habe, wie immer, so viel zu schreiben, |6| daß ich immer in größter Eile schreiben muß, will ich mit Allem fertig werden. Viel Besuch habe ich hier auch gehabt! ach, sähe ich Euch doch ’mal!
Brahms war 14 Tage hier, Stockhausen treffe ich auf dem Rigi, und Kirchner wahrscheinlich auch. Mein Bruder Woldemar Bargiel war auch 4 Wochen hier.
Ich denke Pauline Viardot in Baden einen Tag zu besuchen, und in Carlsruhe Frau Schroedter auf ein paar Tage.
Läge doch das München nicht so gar weit! –
Am 21ten gebe ich ein Concert hier, nachdem ich vor einigen Tagen in einem Armenconcert unter großem Enthusiasmus gespielt. Bei alledem ist meine Stimmung sehr trübe – ich habe vieles Schwere noch außer den Sorgen um die Kinder durchzumachen, das läßt sich aber nicht schreiben!

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Münster am Stein
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
428-431

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 101a/b/c
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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