23.01.2024

Briefe



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ID: 26760
Geschrieben am: Samstag 16.06.1866
 

Baden d. 16 Juni 1866
Liebste Elise,
schon längst hätte ich Dir ein Wort gesandt, hätte ich nicht eine Masse Briefschulden gehabt, die ich so gern erst ’mal abschütteln wollte. Nun ist es wirklich ’mal etwas lichter in meiner Briefmappe, und so will ich Dir vor allem danken, daß Du <d> uns Deine liebe Hedwig anvertraut hast. Sie ist ein liebes und höchst anspruchloses Mädchen, muß gar recht Fürlieb mit unserer sehr einfachen Häuslichkeit nehmen, und thut es in liebenswürdigster Weise. Gar zu leid thut es mir, daß es gerade jetzt so still bei uns ist; es vergehen wirklich Tage, wo wir Niemanden sehen. Es ist eben |2| noch sehr leer hier, dann sind die beiden Freunde, Brahms und Levi, die Leben in’s Haus brachten, der Eine in der Schweiz noch, der Andere auf Ferienreisen und Curen für seine Gesundheit. Eine solche Einförmigkeit des Lebens, wie jetzt bei mir, ist selbst mir, obgleich ich vielen Verkehr so sehr fürchte, doch <gar> auf die Länge zu viel. Bald wird es anders werden, dann aber ist Hedi nicht mehr hier, und das thut mir wahrhaft leid. Sie wird Dir geschrieben haben, wie unsere Zerstreuungen lediglich nur in täglichen Abendspatziergängen besteht, die allerdings hier ja immer schön sind, und mich immer wieder entzücken. Leider ist meine Stimmung nicht mehr so heiter wie <sehr> sie war, |3| solche Zeit mache ich aber jeden Sommer im Anfang hier durch. Der Abstand des Lebens im Winter und desjenigen im Sommer ist zu groß, und die plötzliche Ruhe giebt dann in meinem Innern Raum zu allerlei Grübeleien und aber auch wirklichen Sorgen, wie Du Dir wohl denken kannst bei so vielen Kindern. Jetzt war ich z. B. über Ludwig beruhigter, da kommen die heftigsten Klagen über Felix – da hieß es dann gleich ┌wieder┐ ernste Schritte thuen, und männliche Consequenz anwenden, die mir aber wahrlich nicht leicht wird. Und so geht es fort und fort! –
Im Juli kommt meine Mutter, was mich sehr freut, auch die Kinder fast Alle. Wenn nur Alle erst glücklich hier wären! dieser Tage soll auch |4| im Baden’schen Lande mobil gemacht werden. Ach, die armen Menschen Alle, die, so oder so, zu Grunde gehen, oder wenigstens, im günstigen Falle, Jahre brauchen, bis sie sich erholt. Ein wahres Labsal ist hier die Natur – im dunklen gemüthlichen Walde vergißt man fast des Krieges draußen.
Von Hedi höre ich immer zu meiner herzlichsten Freude, wie gut es Dir geht. Hoffentlich wird die liebe Mila etwas ruhiger jetzt über die Weltereignisse – das grämen und sorgen darum hilft ja zu nichts, wir müssen eben abwarten wie’s kommt.
Ich habe jetzt meine Brunnencur begonnen, befinde mich aber nicht wohl dabei. Solche Geschichten |5| passen nicht für mich! ich habe ein Haupttalent nicht, das ist das Talent zu bummeln. Wenn ich nichts thue, so leidet mein Gemüth, und arbeite ich, so strenge ich mich natürlich an, was ich nicht soll – so vertraue ich denn nur darauf, daß die Natur sich an das letztere gewöhnt, d. h. den Brunnen, den ich trinke, und fahre noch einige Tage fort; wirds besser, so gebrauche ich die Cur 4 Wochen.
Hedi hat mir auch vorgespielt, und finde ich ihren Ausdruck recht hübsch, nur mangelt mir im Ton die Weichheit des Anschlags, und somit auch die Fülle des <Tons[?]> Tones. Doch, das [sic] <keine[?] andere[?] Du?]> sie guten Unterricht genossen hört man. Natürlich, das |6| Feine im Vortrag und Anschlag, wie ich es verlange, können die, die es nicht haben, auch nicht lehren.
Nun will ich Dir Adieu sagen meine theuere Elise. Ich wollte Euer Weg nach Schönau ginge über Baden, und Ihr bliebt dann noch einige Tage hier – Pastors haben noch frei. Ist daran nicht zu denken?
Der lieben Emilie die herzlichsten Grüße, auch an Lina.
Wie immer umarmt Dich in treuer, dankbarer Freundschaft Deine
Clara.
Joachims sind jetzt wohl in Kreuznach. Er hat seine Stelle in Hannover wieder angenommen, worüber ich sehr froh.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Pacher, Elise von, geb. List (1162)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
459-462

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 113a/b/c;
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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