Baden-Baden d. 16 Juni 1868.
Lichtenthal 14.
Meine liebe Mila,
ich konnte Dir nicht früher auf Deinen lieben Brief antworten – er erreichte mich auch erst hier schon wieder eingetroffen. Ich hätte in keinem Falle über München kommen können, da ich nach Berlin zu meinem Ferdinand mußte (ich habe deshalb auch das Musikfest in Cöln aufgegeben); es war ein längst gegebenes Versprechen, und hätte ich mich nicht überwunden den lieben Jungen, der mir durch seine Tüchtigkeit in jeder Hinsicht die größte Freude macht, zu täuschen!
|2| Dich ’mal allein etwas genießen zu können wäre mir, offen gestanden, eine ganz besondere Freude gewesen, denn wenn Du mit Elise bist, so hast du im Grunde genommen, doch nur Sinn und Augen für sie. Ich bin ganz betrübt über das ungünstige Geschick, hätte mich so gern ’mal recht◊1 mit Dir ausgetauscht, was brieflich doch immer nur so mangelhaft möglich ist! – Kannst Du es denn nur gar nicht ’mal einrichten, mich auf einige Wochen (im Herbst z. B.) zu besuchen? Leider werde ich mein Häuschen dies Jahr wenig genießen; ich befinde mich, in Folge namentlich der großen Sorgen um Ludwig, so unwohl nach der Carlsbader Cur, daß ich in 8–10 Tagen zu einer Cur nach Ragaz (auf 14 Tage) und dann nach St. Moritz zur |3| Stärkung der Nerven soll. Ich würde mich zu all Diesem nicht entschließen, fühlte ich nicht die Nothwendigkeit selbst. Es geht doch nichts über die Sorgen, nichts nimmt Einen physisch und moralisch so mit, als Diese um einen Sohn. Du weißt, sie verfolgen mich seit Jahren, jetzt haben sie aber einen Höhepunkt erreicht, wo ich wirklich gänzlich rathlos bin. Schreiben läßt sich das nicht so – könnte ich Dich sprechen! –
Von Julie haben wir viel bessere Nachrichten, ach aber, ich freue mich gar nicht mehr darüber, denn es schlägt ja immer wieder zum Schlimmen um! – Wir werden Julie den ganzen Sommer wieder entbehren müssen, was uns oft recht trübe stimmt.
In die Schweiz nehme ich |4| diesmal Elise mit – Marie und Felix bleiben ruhig hier.
Ich denke Mitte August zurückzukehren, hoffe aber Du erfreust mich vorher schon ’mal wieder mit Nachrichten, und zwar Guten von Euch Allen. Meine Adresse bleibt immer hier. Geht Ihr noch nach Schönau? schreibe mir wie es mit einem Besuche von Dir steht? es wäre gar so schön, machtest Du mir ’mal die Freude. ┌ich bleibe später jedenfalls noch 2 Monate (bis Mitte Octbr.) hier. ┐
Sey 1 000 mal gegrüßt mit all den Deinigen (auch Frau Hövemeyer – wie geht es ihr?) und nimm auch Dank für den vorletzten interessanten Brief von
Deiner
altgetreuen
Clara
Marie grüßt angelegentlichst.
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