Wien d. 31 Dec 1869. Operngasse 6, 2ten Stock.
Meine liebe Emilie,
Du hättest auf Deinen neulichen Brief schon wieder gehört von mir, aber ich bin sehr übel daran, jetzt wieder mit einem Rheumatismus im 3ten Finger der rechten Hand, der mich seit fast 14 Tagen am Spielen und Schreiben hindert. Ich <> gab mein 2tes Concert mit dem kranken Finger, wodurch er sich natürlich verschlimmerte, und sollte am 5 Jan. das Dritte sein, ich fürchte aber, ich muß es verschieben.
|2| Ich dictire so ungern an Dich, daher schob ich’s immer auf. Heute aber habe ich mir den Muth zu einigen Zeilen genommen, vor allem Dir zu sagen, wie froh ich bin, daß es der guten Elise besser geht, und daß Hedwig glücklich ist. Du hast wohl Recht, das innere Glück wiegt ja vollkommen ein jedes Aeußere auf. – Wann heirathet Hedwig?
Wegen eines Streicherschen Stutzflügels sprach ich mit Brahms, der mir erzählt, daß er Mehrere Solche schon in’s Ausland geschickt und die Leute sehr zufrieden seyen, namentlich auch mit der Dauer. Ich will mir nun, sobald ich wieder spielen kann, |3| bei Streichers Stutzflügel ansehen und Dir dann darüber schreiben. Zu einem K’schen Stutzflügel kann ich mit gutem Gewissen nicht rathen, sie halten sich schlecht. Du erhältst also bald, hoffe ich, Nachricht von mir, auch dann über den Preis, der, wie ich hörte, so billig ist, daß für ein K’sches Hedwig beinah zwei Streicher’sche hätte.
Mir ist es hier sehr gut ergangen, nur daß ich eben am schnelleren Concertgeben gehemmt bin, was doppelt schlimm ist, als ich vorher schon über 20 Concerte verloren habe durch die Verletzung meiner Hand.
Ueber München komme ich leider nicht, weil ich Ludwig in Dresden besuchen will, |4| und Verschiedenes für ihn zu ordnen habe, wozu meine Gegenwart in Dresden nöthig ist. Wie sehr hätte ich gewünscht Euch zu sehen!
Nun, meine Theuere, nimm meine innigsten Wünsche in das neue Jahr mit hinüber! gäbe doch der Himmel Elise vollkommene Genesung!
In alter treuer Liebe
Deine Clara.
Ich bleibe wohl bis zum 18ten Januar hier.
P. S. Nachmittags.
Ich war bei Streicher und fand ein sehr hübsches kleines Instrument, aber nicht Stutz; kann Hedwig es stellen so rathe ich dazu mehr, weil die kleinen Stutze so dünnen Baß haben, haben müssen. Das Instrument welches ich sah, und zu welchem ich sehr rathen würde, ist 2 Mêtres 40 Centimêtres lang, ohne Stuhl. Ich habe hier mit Einigen wegen der Wiener Mechanik gesprochen, und Streicher selbst sagt, daß sie dauerhafter sey als die englische, weil sie einfacher. Bitte, antworte mir gleich, weil ich Streicher bat, das Instrument einstweilen zurück zu behalten.
[Umschlag]
Fräulein
Emilie List.
in
München.
Obere Gartenstraße .