23.01.2024

Briefe



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ID: 26773
Geschrieben am: Donnerstag 25.08.1870
 

Baden d. 25 Aug 1870.
Liebste Mila,
hab Dank für Deine Einladung, ich kann aber nicht den Entschluß zu einer Reise fassen! neulich standen unsere Koffer gepackt um nach Axenstein bei Brunnen zu gehen, und ich packte Alles wieder aus. Das große furchtbare Leid, das über ganz Deutschland und Frankreich gekommen, nimmt mein ganzes Denken und Fühlen in Beschlag. Ich fühle mich ganz elend, jeder neue Sieg bringt mir die furchtbarste Traurigkeit, denn, welche Opfer kostet es! |2| Ich fühle wohl, es ist weiblich schwach, wenn man sich in solch ’ner Zeit an das Einzelne hängt, aber ich kann nicht anders, wünschte, hätte solch eine Metzelei nie erleben müssen. Wir werden große, schöne Folgen sehen, und das ist gewiß erhebend, doch der Moment des Grausens verlangt sein Recht. Das arme Frankreich, man muß doch auch Mitleid haben mit den armen Soldaten, die kaum nothdürftig gesättigt in den Krieg ziehen, und wie die Löwen kämpfen, die Armen! und das arme Volk in Paris, das immerfort belogen und betrogen wird!
|3| Gestern Abend begann die <St> Beschießung Straßburgs, es dauerte die ganze Nacht, wir hörten es, und da mußte man zu Bette gehen, während ein neues Blutbad begann! – Heute können wir von dem Resultat noch nichts erfahren! wir sehen eigentlich jetzt erst, in welcher Gefahr wir hier vor den Schlachten bei Weissenburg und Wörth waren! Wie wundervoll zeigt sich der König von Preußen, wie heldenmüthig, ein Mann von über 70 Jahr. Da kann man doch ’mal einen Fürsten verehren! und wie ist Alles bis aufs Kleinste in dem Preußen organisirt! wie mag es dagegen in dem armen |4| Paris aussehen! auch ich denke viel daran.
Viardot’s sind ruhig hier geblieben – ich sah sie nur kurz nach der Kriegserklärung, sie besuchten mich nicht wieder, und so weiß ich nichts, nur, daß Mad. Viardot mit ihren Töchtern alle Tage im Frauen-Verein sitzt und näht. Wir machen das zu Hause; nichts ist mir gräßlicher, als in solch ’ner Zeit, überhaupt ┌bei┐ Wohlthätigkeitsgelegenheiten, sich zu zeigen. Ich habe schon manchmal gedacht, wieviel wohl geschähe in der Welt, wenn die Eitelkeit der Menschen nicht wäre? sehr viel weniger! traurig ist das, aber wahr.
Elise kommt am 31ten zurück. – Herzlichen Dank für Deine Einladung. Möge es Euch doch recht gut in Tegernsee gehen! grüße die liebe Elise und das junge Paar! bitte, schreibe mir mal wieder, willst Du? kämst Du doch ’mal endlich! Wenn ich nach Wien im Herbst gehe, was aber noch fraglich, so reise ich wohl über München, was mir eine große Freude wäre. Leb wohl, theuere Mila.
Deine Clara.
Ob meine Adresse richtig sein wird weiß ich nicht – Du hast sie so undeutlich geschrieben daß wir Alle es nicht lesen können.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: Egern am Tegernsee
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
495ff.

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 124a/b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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