23.01.2024

Briefe



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ID: 26782
Geschrieben am: Samstag 23.03.1872
 

London d. 23 März 1872.
Liebste Emilie,
Marie wollte Dir schreiben, ich möchte es aber mir nicht nehmen lassen, Dir, wenn auch nur kurzen, aber directen Gruß zu senden. Wie sehr angestrengt ich im Winter bin, das weißt Du, dazu kommt, daß ich viel an Rheumatismus diesen Winter leide, und zwar in Armen und Fingern zumeist, so daß ich von einem Concert zum Anderen in Angst bin, ob ich es werde |2| machen können, und daher auch doppelt vorsichtig mit Schreiben, oder zu vielem Ueben sein muß. Mein Engagement geht nun übermorgen zu Ende, ich habe dann nur noch im philh. Concert am 15 April und einer Matinee hier im Hause zu spielen, werde diese paar Wochen noch etliche Stunden geben, und dann, so Gott will, in der 3ten Woche April absegeln, oder dampfen vielmehr. Ach, wie sehne ich mich immer nach Deutschland zurück, wenn ich im fremden Lande bin. Und, hier |3| werde ich doch förmlich auf Händen getragen, wofür ich gewiß die wärmste Dankbarkeit empfinde, aber das Heimweh werde ich keinen Augenblick los. Furchtbar schwer fällt es immer fortzukommen, weil unsere Wirthe so flehentlich förmlich, immer wieder bitten, nur noch eine Woche, dann noch Eine und so gehts voran. Eigentlich könnte ich schon nächste Woche fort, aber daran wäre nicht zu denken, daß sie uns ließen. Du kannst Dir nicht denken, wie lieb Miss Burnand mich hat, ich glaube außer ihrem Bruder, mit dem sie lebt, Niemanden so wie mich, <au[?]> und ich habe sie auch lieb und bin ihr dankbar, |4| aber, natürlich, in solch ’nem Grade kann ich ihr die Liebe nicht erwiedern, schon der Unterschied der Nationen, wie ganz anders sind unsere Empfindungen, Anschauungen <ganz> wie anders erfassen wir das Leben, wie so anders ernsthaft, als solche reiche Leute hier! fast jeden Tag fühle ich mich innerlich über Etwas erregt, was so ganz gegen mein Gefühl ist, wie muß ich da an mich halten. – Jetzt ist auch mein Felix hier, sie hatten ihn dringend eingeladen sich hier nach seinem Examen etwas zu erholen, und ich habe es gern angenommen in Anbetracht dessen, daß <es> ihn all das Großartige |5| was er hier zu sehen bekömmt, innerlich bereichert und reifer macht, dazu hat er jetzt noch keine Collegien zu hören, da Ferien sind, und hätte in Berlin ein Bummelleben ohne irgend welchen Nutzen geführt bis zu seinem Abgang nach Heidelberg, wo er nun Mitte April als Student einrücken wird. ┌ (Er will Jura studieren) ┐ Er hat ein brillantes Examen gehabt, es wurde ihm nach dem schrifftlichen Examen von der Lehrer-Commission mitgetheilt, daß Dasselbe so sehr ihren Beifall gehabt habe, daß man ihn vom mündlichen Examen dispensire. Du kannst Dir denken wie sehr mich das erfreut hat!
|6| Von Julie lauten die Nachrichten gar nicht sehr gut, sie ist an der See, und abwechselnd in ihrem Befinden. Das macht mich oft sehr besorgt! die Kinder kamen auch gar so schnell aufeinander! – Eugenie kommt im Mai zurück, sie sehnt sich sehr nach Hause.
Ich hatte neulich den Schmerz die Mutter zu verlieren, die nach 14tägigen sehr schweren Leiden am 10 März starb 75 Jahre alt. Für meine Schwester, die mit ihr lebte, ist es furchtbar, und eine neue Sorge erwächst mir dadurch. Wie mancher wehmütige Gedanke in dieser Zeit meine Seele durchzog, wirst Du glauben. War unser Verhältniß |7| auch kein normales, nicht das von Mutter und Kind, so war es mir doch höchst schmerzlich hier künstlerisch <s> wirksam sein zu müssen, in Concerten zu spielen, während sie mit dem Tode rang! was habe ich doch in solcher Art in meinem Leben schon durchgekämpft!
Von Marie soll ich Dir nun sagen, daß sie bis auf 10 Stück (Nro 6991–7000) alle Loose abgesetzt. Es fiel aber sehr schwer, unsere deutschen Freunde sagten Alle, sie hätten schon so viel gethan in der Weise, und es höre doch gar nicht auf ect. das war dann fatal! – Welche Mühen magst Du aber gehabt haben! welche Schreibereien. |8| Marie hat Alles genau verzeichnet, Du brauchst also etwaige Gewinne nur an uns zu senden, wir besorgen sie dann.
Schließlich, liebste Mila, nun noch die Frage, wann kommst Du zu uns? ich spreche Ende April mit dem Arzte, was ich thuen soll? er hat schon gesagt, ich solle nach Gastein, aber meine Leber ist auch recht leidend wieder, und am Ende muß ich wieder ’mal nach Carlsbad. Ich schreibe Dir gleich, sobald ich Gewisses weiß, und bitte Dich laß mich Genaueres über Deine Absichten hören so bald Du kannst. Ich hoffe es geht Euch Allen gut? 1 000 Grüße Euch Allen von Deiner treuen Clara.
Marie grüßt sehr.
Habe Nachsicht mit meinem flüchtigen Brief.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
527-530

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 137a/b/c/d
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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