23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26787
Geschrieben am: Dienstag 27.05.1873
 

Baden d. 27 Mai 73
Liebste Emilie!
Längst schon hätte ich Dir auf Deinen lieben Brief geschrieben, aber Du weißt ja, wie ich beschäftigt bin, u. dazu kommt noch, daß ich mehr denn je an rheumatischen Schmerzen in den Armen leide, was mich immer sehr ängstlich macht, mich mit Schreiben zu übermüden. Da ich nächster Tage zum Musikfeste nach Aachen muß, wo ich spiele, muß ich mich heute entschließen, um die Antwort an Dich nicht gar zu lange zu verschieben, zu dictiren.
Du siehst mich jetzt wieder hier <,> in dem herrlichen Baden; wir genießen aber das schöne, saftige Grün nur vom Fenster aus, denn das Wetter ist fort u fort regnerisch. Du kannst Dir denken, daß ich keinen Schritt hier thue, ohne daran zu denken daß es möglicherweise der letzte Sommer sei. Meine Bekannten reden mir Alle |2| sehr zu das Haus doch noch zu behalten u. noch als Sommeraufenthalt zu benutzen. Ich fände das auch ganz vernünftig, nur kann ich nicht recht einig mit mir werden, ob dies nicht über meine Verhältnisse ginge, denn, berechne ich Alles, so kostet mich 3 Monate reisen im Sommer nicht so viel ┌ich habe aber das Bedenken daß 3–4 Monate umher reisen, in schlechten unbehaglichen Hôtels (wie sie ja in den schönsten Gegenden meist sind) mit schlechter Kost ect. mir wenig zusagen wird, dann fehlen mir meine Noten Bücher ect. ect. ┐. Ich denke, einstweilen behalte ich es, wenn nicht zufälliger Weise mir ein gutes Gebot gemacht wird, was ich dann als einen Fingerzeig ansehen würde, es doch aufzugeben. Jedenfalls bleibe ich bis Mitte October hier u. Dein Besuch würde mir eine große Freude sein. Halte den Plan fest, meine liebe Mila.
Leider sind wir hier mit einer neuen Sorge eingezogen. – <> Ich fand Felix in Heidelberg in Folge einer verschleppten Erkältung stark hustend und |3| ganz abgemagert; der Arzt rieth ihn mit hierherzunehmen und gut zu pflegen, was denn auch geschieht u. gute Folgen hat. Aber die Sorge bei so unregelmäßiger Lebensweise der jungen Leute auf der Universität bleibt doch wach. Für ihn wird unser Uebersiedeln nach Berlin gewiß von wichtigem Vortheil sein, er ist noch zu jung zu so ganz fessellosem Leben. ┌Er ist leider gar nicht zu seinem Vortheil verändert; hat gebummelt, kommt nicht aus mit seinem Gelde, hat recht burschikose Manieren angenommen, und betrübt mich sehr durch All das. ┐
Ich habe leider Teplitz aufgegeben aus gewissen Gründen, die ich Dir vielleicht schon mitgetheilt. Nächsten Sommer denke ich bestimmt es zu brauchen, wenn ich bis dahin nur den Gebrauch meiner Glieder behalte, wofür mir oft bangt.
Wo werdet Ihr bis August hingehen? Nach Schönau? Oder irgendwo in die Nahe Münchens? –
|4| Denke Dir daß mein Ferdinand nun doch im Herbst schon heirathen wird, da auf einen entschiedenen Brief meinerseits an seinen Principal Dieser sein Gehalt von 1 200 auf 2 000 Thlr. erhöhte. Dieses Fixum hatte ich als Bedingung zu meiner Einwilligung gestellt. Nun kann ich nichts mehr dagegen haben, glaube auch, daß es zu Ferdinands Glück sein wird, da er ein häusliches Leben liebt u. kein Streben nach auswärts hat. Jedenfalls ist er tüchtig u. wird gewiß vorwärts gehen, namentlich um seiner großen Gewissenhaftigkeit halber. Du kannst Dir denken, daß mich dies sehr beglückt.
Im August wird ein schönes Fest für ein Denkmal für Robert in Bonn stattfinden. Joachim wird es leiten. Ich habe mich nach einigem Kampfe doch entschlossen mitzuwirken. Sprach einestheils mein Gefühl als Gattin dagegen, so fiel doch wieder mein Pflichtgefühl als Künstlerin, u. zwar überwiegend |5| in die Wagschale. Soll ich, die ich Zeit meiner ganzen Künstlerlaufbahn Vertreterin seiner Werke war (u. wohl nicht zu den Schlechtesten gehörte) bei dieser Gelegenheit zu seiner ganz speciellen Ehre, schweigen? das ging nicht, u. ich glaube, ich handele in seinem Sinne, daß ich mein Bestes dabei thue.
Was denkst Du darüber? Es wäre schön, könntet Ihr auch hinkommen, aber das wird wohl wegen Hedwig nicht gehen? Möge ihr eine möglichst leichte Stunde werden, von Herzen wünsche ich ihr dies. Du schreibst mir nichts von Elisens Befinden? Ich nehme an, daß es gut ist, u. auch Du längst die fatale Grippe überwunden hast. Sage mir dies bald, adressire hierher, ich bleibe nur einige Tage fort u. Marie hier. Sie u. Eugenie erwiedern Deine freundlichen Grüße herzlichst.
Von Levi, der in 4 Wochen hierherkommen will, hoffe ich auch von Euch zu hören. Er |6| schreibt höchst befriedigt von seiner Wirksamkeit in München – so wäre er denn wirklich an dem Platze, der ihm gebührt, es fehlt nun nur noch, daß er sich eine Häuslichkeit gründet. Er ist ganz dazu gemacht, darum rede ich auch zu, wie ich es nur kann.
Jetzt lebe wohl, meine theuere Emilie! sey in treuer Liebe umarmt von
Deiner
Clara.
Marmorito will so gern hierher kommen, um uns zu sehen – ich kann mich gar nicht recht entschließen, denke an einem anderen Orte wäre es besser! ach, der arme Mann ist noch ganz verzweifelt.
Vom Ludwig haben wir recht traurige Nachricht – er ist so furchtbar aufgeregt, stößt immer mit dem Kopf gegen die Wände, so daß sie zu Zwangsmaßregeln greifen müssen. Wie blutet mir das Herz denke ich an den armen Sohn, welch ein Geschick! Er hat keinen lichten Augenblick mehr.
An Elise die herzlichsten Grüße.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
549-553

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 144a/b/c;
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.