23.01.2024

Briefe



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ID: 26795
Geschrieben am: Samstag 09.01.1875
 

Berlin d. 9ten Jan. 75.
Liebste Emilie!
Habe Dank für Deinen lieben ausführlichen Brief, durch den ich Alles in u. um Euch erfuhr, freilich mehr des Schlimmen als des Guten. Wie ist Euch doch das Weihnachtsfest vergällt worden! Wie häufig kommt es doch vor, daß Leute sich vor dem Fest übermüden und dann daliegen. Auch bei uns ging es nicht ganz ungetrübt vorüber, Eugenie hatte sich sehr erkältet, u lag die Feiertage zu Bett. Mit Hedi, das ist aber recht schlimm u. traurig, wo sie sich kaum etwas erholt hatte; daß Ihr aber Euer |2| Haus verkaufen wolltet um zu Hedi in’s Haus zu ziehen, fände ich sehr schade u. zu Dir gesagt, sehr unklug. In den meisten Fällen führt eine solche Nähe der Schwiegermutter bei den Kindern nur zu Mißverhältnissen, selbst bei noch so klugem Verhalten. Eine Mutter hat zu sehr berechtigte Ansprüche, die zu befriedigen für eine junge Frau unmöglich sind, wenn nicht doch hie u. da der Mann darunter leiden soll. Was kann da nicht Alles kommen in solchem nahen Zusammenleben! Doch wozu brauche ich Dir, die Du ja mit Deinem hellen Verstande Alles durchschaust, auseinanderzusetzen; |3| es geschieht eben nur, weil ich Deine Hingabe für Elise kenne, u. weiß, wie ihre Wünsche Dir vor Allem maßgebend sind.
Von uns läßt sich nun weiter nicht viel erzählen, mein Armleiden hat sich immer mehr verschlimmert, u. will ich in nächster Zeit mal zu einem Arzt nach Kiel, der hier eine Dame von ganz ähnlichem Leiden kurirt hat; dieselbe konnte 5 Jahre nicht spielen, u. spielt jetzt wieder ganz flott.
Habe ich auch nicht viel Hoffnung, so will ich doch nichts unterlassen. Sollte es mir helfen, so erfährst Du es gleich.
Von Felix, ┌der in Montreux ist ┐ lauten die Nachrichten |4| im Ganzen doch etwas besser und von Elise hatten wir recht interessante Briefe; es ging ihr bis zum letzten sehr gut; sie war in Cincinnati, Chicago, u. wollten jetzt nach der Havannah reisen.
Nach München auf eine Woche zu reisen gehört noch immer zu meinen Lieblingsplänen für diesen Winter, doch muß ich fürerst nach Düsseldorf die arme Leser mal zu sehen, die vorigen November ihre treue Elise verloren hat, nachdem dieselbe fünf Monate unsäglich gelitten hatte. Dieses Schicksal gehört zu den traurigsten, was mir noch je vorgekommen, denn solch eine treue Seele, wie diese war, ist ja unersetzlich. Sie hat jetzt eine Dame bei sich, |5| mit der sie garnicht sympathisirt; das ist nun erst recht ein Unglück! –
Meine Grüße durch Mary Meier waren allerdings wahr; wir haben sie diesen Sommer kennen gelernt, und recht gern gehabt.
Von Levi höre ich garnichts, u. Ihr scheint auch wenig zu wissen; wir haben ihn aber diesen Herbst in Freiburg getroffen, wo er die sehr traurige Pflicht erfüllte, Abschied von seiner kranken Freundin zu nehmen, die wegen der Schwindsucht nach Italien ging; Du brauchst aber nicht davon zu sprechen, denn ich weiß nicht, ob er es in München geheim hält.
Ich bitte Dich, liebe Emilie, gieb mir recht bald wieder Nachricht, wie es mit Hedi geht, u. kannst Du |6| mir dabei von Schönem Musikalischen berichten, so interessirt mich das stets sehr. Für den schönen Artikel von Hanslick danke ich Dir sehr; ich hatte ihn bereits von verschiedenen Seiten erhalten u. mit vieler Freude gelesen. Er schreibt doch manchmal ganz reizend, so feinsinnig, wie wenig Andere.
Frau Bamberger’s Tod hat mir auch sehr leid gethan; er wird furchtbar traurig darüber sein, denn er hatte sie sehr lieb. Es war aber eine unglückliche Frau, denn sie erfüllte doch nicht die Pflichten für ihren Mann, u. hatte ihn, glaube ich, lieb genug, dies zu empfinden, aber keine moralische Gewalt über sich.
Nun leb wohl, liebste Mila, grüße all die Deinen herzlich u. sei umarmt von Deiner alten treuen
Clara.
Möge das neue Jahr Euch nur des Guten bringen!
Die Kinder grüßen auch sehr.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
579-582

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 152a/b/c;
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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