23.01.2024

Briefe



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ID: 26796
Geschrieben am: Montag 01.03.1875
 

Kiel d. 1ten März 75
Liebste Emilie,
ich hätte Dir längst von hier geschrieben, wollte es aber überhaupt an Niemand thun ehe ich nicht von meiner Genesung schreiben konnte. Dies kann ich nun leider nicht, da mein Uebel eigentlich ein seit vielen Jahren schon Eingenistetes ist und daher auch lange braucht um wieder beseitigt zu werden. Ich kann Dir aber wenigstens doch sagen, daß ich entschiedene Besserung in so fern fühle, als ich täglich wieder an zwei Stunden spielen kann. Der Arzt hier, Dr. Esmarch, ist der festen Zuversicht, daß das |2| Uebel ganz schwinden wird und sagt, daß es ein reines Nervenleiden ist, nicht Rheumatismus. – Die Cur besteht in kalten Douschen und Kneten der Arme u. Füße, da sich das Leiden bei mir auch in den Füßen gezeigt hat. – Dies ist im Anfang sehr schmerzhaft, verliert sich aber nach 14 tägigem Gebrauch. – Als einen großen Gewinn sehe ich es an, daß ich durch diese Cur wieder an das kalte Wasser gekommen bin. Ich nehme jeden Morgen eine kalte Dousche u. finde die Wirkung wundervoll, erquickt den ganzen Körper. – Von der Italienischen Grotte hatte ich schon gehört, doch dis [sic] ist für rein rheumatische Leiden (die es übrigens nach den hiesigen Ärzten nicht giebt.) Ich bleibe jetzt noch 14 Tage hier u. denke |3| die Osterfeiertage in Berlin wieder zu sein, wo Eugenie während dieser ganzen Zeit zurückgeblieben, da ich sie nicht gern in ihren Studien unterbrechen wollte. Sie singt fleißig u. freue ich mich sehr, wenn sie erst ’mal so weit ist, ein Lied gut zu singen.
Mit Levi hast Du sehr recht, es ist recht traurig, wenn Künstler sich so mit aller Gewalt in den Strudel der Welt werfen, ihr Inneres wird dadurch nicht bereichert. Alles, Körper, Geist u. Gemüth beschädigt. – Ich könnte Dir noch andere Beispiele nennen, Du magst sie aber wohl errathen. Ich möchte Levi heirathete bald, aber keine vom Theater. – Das fände ich schrecklich. –
Von einem Versprechen an ihn <ih> im Frühjahr zu kommen, weiß ich nichts, ich habe nur beiläufig erwähnt, daß ich ’mal wieder eine |4| schöne Musikwoche, wie die Damalige in München erleben möchte. Die Reise ist aber weit und jetzt, wo ich so lange nichts verdienen konnte, u. der Sommer doch auch wieder vor der Thür ist, wo man ohnehin reist, kann ich an solche Sprünge nicht denken; – um so mehr erfreut mich die Aussicht, die Du mir eröffnest, Dich im Herbst bei uns in Berlin zu sehen. –
Gott sei Dank, daß Ihr auch ’mal wieder aus dem Hausmisere heraus seid, ich glaube es giebt jetzt kaum Menschen, die nicht darüber zu klagen hätten, auch wir könnten Geschichten davon erzählen.
Die Nachrichten von Felix sind im Ganzen doch besser als vorigen Winter. Für nächsten Sommer sind für ihn noch keine Pläne gemacht. Wir, denke ich, gehen doch wohl wieder auf 5–6 Wochen nach Engelberg. –
Die arme Leser ist furchtbar |5| zu beklagen. Du kannst Dir denken, daß Frl. Junge auch nicht im Geringsten durch Jemand anders zu ersetzen ist. – Sie hat Aussicht auf eine Nichte der Junge, doch augenblicklich eine Dame um sich, die ihr ganz antipathisch ist, u. das ist entsetzlich für sie. – Das ist auch ein Schicksal, wo man nur immer fragen möchte, warum? –
Bendemanns geht es im Ganzen leidlich, – sie tragen aber doch schwer an dem Verlust der Tochter und ich fürchte die Zukunft wird namentlich Frau B. noch viel Schweres bringen, wenn der Mann erst ’mal wieder heirathet. –
Hübners haben jetzt ihre einzige Tochter auch verloren, die aber schon 20 Jahre krank war. –
Nun, liebste Emilie habe ich Dir, glaube ich, Alles von uns |6| erzählt. Laß bald wieder von Euch hören u. schreibe mir dann auch etwas über die Odeonconcerte unter Levi.
Grüße die Deinen von Herzen u. sei umarmt von Deiner alten treuen
Clara.
Marie grüßt schönstens.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Kiel
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
583-586

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 153a/b/c;
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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