23.01.2024

Briefe



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ID: 26797
Geschrieben am: Dienstag 11.05.1875
 

Berlin d. 11 Mai 75
Liebste Emilie!
Ich eile Dir auf Deinen lieben Brief zu antworten und Dir vor Allem zu danken für Deine Glückwünsche. Zum Theil sind diese vorzeitig, denn wohl kann ich spielen und habe das Concert in Kiel sehr gut überstanden, das Leiden aber ist keineswegs beseitigt, und der Arzt sagt, wir müßten die Cur noch lange fortsetzen, da mein Leiden ja ein langjähriges ist, wie Du weißt. Leider habe ich vor 8 Tagen eine sehr schlimme Erkältungsattaque im Arm bekommen, so in der Art, wie ich es vor 20 Jahren in München hatte, nur viel schlimmer, mußte deshalb auch gestern ein Concert, worin |2| ich zu spielen versprochen, wieder absagen.
Wie leid thut es mir, daß Ihr um Elise wieder solche Sorge gehabt – Gott sey Dank, daß der schlimmen Nachricht die bessere folgte. Also nun geht Ihr wieder nach Karlsbad! Wie gerne gebrauchte ich dort mal die Kur, wenn überhaupt eine sein muß, doch Esmarch ist gegen alle warme Badekuren, und will für mich im Sommer nur hohe Bergluft od. Seebäder; Letztere konnte ich aber leider nie vertragen. Daß durch Eure Kur in Carlsbad jetzt Dein Besuch bei mir wieder so fraglich geworden, thut mir furchtbar leid. Vielleicht aber richtest Du es doch noch ein.
Neulich von Kiel kommend sah ich Genoveva in Leipzig, und war zum |3| großen Theil sehr befriedigt; nur mit dem Schluß garnicht einverstanden, u. habe ich einige Aenderungen angegeben, die möglicher Weise ganz gut sein können. Der Siegfried, die Margarethe und Golo waren ausgezeichnet; die Genoveva hat eine wunderschöne Stimme, sang mit großer Hingebung aber ohne Poesie, dies Alles nur Dir. Daß der Manfred den gebildeten Hörer, sei er auch noch so unmusikalisch mehr und mehr packen muß, je öfter er ihn hört, wußte ich und ein schlagender Beweis dafür bist Du. Kaum kenne ich eine Musik, die mehr aus der tiefsten Tiefe der Seele herausströmt als diese, die so Dichtung und Musik zugleich ist, eine der wunderbarsten |6| Schöpfungen.
Unsere Pläne sind einstweilen im Juni nach Kiel zu gehen, woselbst ich zu einem Musikfest am 27 u. 28ten, welches Joachim dirigirt, engagirt bin; dann wollen wir wieder in die Schweiz auf 2 Monate und im September wahrscheinlich auf 8 Tage nach Baden und Büdesheim zu Elise, welche uns mit Gott in 14 Tagen wiederzukehren gedenkt; sie wird dieser Tage von New-York abreisen, und hat viel Interessantes erlebt; zuletzt war sie in der Havannah.
Mit dem Dictiren geht es mir gar zu mühsam, so schließe ich lieber – in der Hauptsache weißt Du ja nun Alles von uns. Die Kinder grüßen mit mir Euch Alle herzlich, und ich umarme Dich in alter Treue
Deine
Clara.
Nicht mal meinen Namen kann ich schreiben!

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
586ff.

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 154a/b;
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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