23.01.2024

Briefe



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ID: 26867
Geschrieben am: Samstag 03.01.1885
 

Frankfurt d. 3. Jan 85.
Liebste Emilie!
Ich muß, da ich gerade einen gefälligen Secretair habe, meiner sehr flüchtigen Karte von diesem Morgen, noch einen etwas anständigeren Brief nachsenden. Vor allem laß Dir sagen wie ich herzlich froh war endlich einmal ein Wort von Dir zu haben und wie ich mit größter Theilnahme Alles gelesen |2| was Du mir mittheilst. Du Ärmste hast doch immer mit Deinem Halse zu leiden, und mit der armen Elise scheint eben doch sich gar nichts bessern zu wollen! Mit Fritzens Frau, das ist ja auch sehr betrübt, aber, bei Zeiten vorgebeugt, glaube ich doch an die gute Wirkung des südlichen Klimas. So ein armer junger Mann, lebend in einer gestörten Häuslichkeit, |3| kann Einen recht dauern. Es ist doch ein recht schwaches Geschlecht jetzt, wie wenig junge, kräftige Frauen giebt es!
Bei uns sieht es jetzt gar nicht rosig aus, ich leide viel Schmerzen an Neuralgie in dem Arm, die sich bis in den Nacken verbreiten und die arme Marie, die ihre Schmerzen im Bein ganz geschwunden glaubte, bekam sie wieder in Folge von Übermüdung und hinzugetretener Erkältung. Es kam bei uns so vieles |4| zusammen, Weihnachten, Elisens Einzug in ihr Haus, dazu das scheusliche Wetter, ich unfähig irgend etwas zu vollbringen, Eugenie mit einem verstauchten Fuße sich herumschleppend – was will man mehr! Wir haben daher auch Weihnachten ziemlich still, erst bei Elise, dann Diese bei uns, aber ohne die Kinder, verbracht. Am 2ten Feiertag aber haben wir trotz allem |5| doch die Schüler Abends bei uns gehabt, den Baum nochmal angezündet u eine kleine Lotterie veranstalltet, das hat uns denn auch ganz wohl gethan, es entzieht Einem sich selbst doch nichts mehr, als Jugend um sich, und nun gar wenn sie lustig ist.
Elisens Kinder sind in einer Art lustig, wie es mir in meinem |6| Leben selten vorgekommen ist, dabei Jedes in seiner Weise Einen interessirend. Ich sage das nicht als zärtliche Großmutter, denn eine solche in gewöhnlichem Sinne, bin ich nicht, ich liebe meine Enkelchen wie es naturgemäß, aber interessiren besonders, können sie mich doch nur durch ihre Gaben und Eigenthümlichkeiten. Im Frühjahr erwartet Elise ihr 4tes Kind – Es trifft |7| recht Vieles gerade jetzt bei ihr zusammen.
Du scheinst noch nicht gehört zu haben, daß ich in Leipzig habe absagen müßen, was mir ein großer Schmerz war. Inzwischen mußte ich erneueten Aufforderungen von Dort, wieder ein „Nein“ entgegensetzen u auch hier absagen. Welche Prüfung es für mich ist, zu solcher Unthätigkeit verurtheilt zu sein, brauche ich Dir wol |8| nicht zu sagen. –
Ein Glück das [sic] ich die Schüler habe, und so doch täglich Etwas nütze.
Ich schrieb Dir heute schon, wie schön es wäre könnte ich Dich jetzt hier genießen, aber wer kann riskiren Dich zu solchem Unternehmen im Winter zu veranlaßen.
Meinem Ferdinand geht es noch immer nicht gut; er liegt alle paar Tage zu Bett, die Kleine gewöhnt sich aber ganz gut bei uns ein und <macht> giebt uns gute Hoffnung durch ihre <gute> Begabung. Ich |9| glaube daß es ein Glück für das Kind ist, daß sie aus dem elterlichen Hause gekommen, wo namentlich die Erziehung von Seiten der Mutter, eine sehr verkehrte war, sowohl was die geistige, gemüthliche, wie auch körperliche Pflege anlangt. Das läßt sich in wenig Worten nicht sagen, man brauchte Bogen dazu. Die Mädchen haben sich in ihre Erziehung getheilt, und jetzt geht schon Alles, wie nach der Schnur.
|10| Wenn Du die Schimon siehst, so kann sie Dir manches erzählen, was ich hier mit ihr gesprochen, und correspondirt habe, es scheint aber mit dem Manne nichts anzufangen zu sein.
Joachim muß in München schlecht disponirt gewesen sein, denn ich habe ihn gerade kürzlich, im Frühjahr in England noch, schöner denn je gehört. Ich las, daß sie nun wirklich getrennt sind, und bin froh darüber. – Nun meine liebe alte Mila, jetzt habe ich wieder einmal nach Herzenslust mit Dir geplaudert. Leb wohl, schreibe bald wieder Deiner alten
Clara.
Grüsse an Alle!

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
700-703

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 221
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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