23.01.2024

Briefe



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ID: 26877
Geschrieben am: Montag 12.07.1886
 

Franzensbad d. 12 Juli 1886.
Meine theuere Mila,
als ich damals das schreckliche Unglück ┌las┐, wollte ich Dir gleich schreiben, denn mir war, als hätte ich von Dir den Namen Guddens gehört, aber, wie es mir so oft geht, ich habe immer den besten Willen, kann aber nicht Alles, wie ich es möchte. Du wirst mir <aber[?]> glauben, daß ich viel Deiner gedacht habe, hat doch schon ganz fernstehende das Ereigniß erschüttert, geschweige denn die, die den Armen gekannt. Ein fürchterliches Schicksal ist es. Gott, was erlebt man doch! –
Bald hoffe ich Dich zu sehen, und dann noch mehr über den prächtigen Mann zu hören. Wie denkst Du wohl über den König? Du glaubst doch wohl, daß er verrückt war? böse Absicht gegen Gudden |2| hatte er doch gewiß nicht!? –
Wir sind jetzt seit 10 Tagen hier und gebrauchen Beide (Marie u. ich) die Moorbäder. Marie wegen des früher gehabten Ischias’, ich für meine Gelenkschmerzen. Im Anfang bekommen wohl die Bäder nicht gut, wenigstens habe ich seitdem noch viel mehr Schmerzen, seit Monaten schon (seit ich im Winter krank war) leide ich sehr an Kreuzschmerzen, so daß ich auch nur sehr wenig gehen kann. Es hat eben Jeder seinen Theil Sorgen und Leiden. An den Ersteren fehlt es mir auch nicht – Ferdinands Lage ist eine gar zu traurige, trostlose; man weiß nicht, was thuen, ihn vom Untergang zu retten. Was für Unglück habe ich doch mit meinen Söhnen – es ist schrecklich, und doch kann ich über das Kleinste noch Thränen vergießen. Heute hatte ich mit dem Arzt eine lange Unterredung u. er behauptet, meine Gliederschmerzen seyen viel Folge mangelhafter Diät; ich solle Alles was Säuere |3| bereitet lassen, also eigentlich Alles, was man gerade gern ißt. Das ist doch hart, aber, was ist es gegen wirkliches Unglück! – Solche Mahnungen ziehen nur immer viel andere traurige Gedanken nach sich; die Sorge um den Körper mahnt so sehr an das Bergabgehen in Allem, und mich besonders an die große Entbehrung des Spielens, das mir doch immer die Schmerzen i. d. Gliedern vermehrt. Eigentlich wollte ich Dir ja nicht vorklagen, denn Du leidest ja so viel Schwereres aber, sitze ich ’mal mit Dir zusammen, wie es früher so oft geschah, da ist mir immer, als müsse ich Alles vom Herzen haben, als müssest Du Alles wissen. Merkwürdig, u. wie schön ist es, daß alte Freundschaft immer dieselbe bleibt, ob man sich sieht oder nicht, das alte Vertrauen bleibt, und es ist, als läge keine Entfernung und kein Schweigen zwischen Einem.
Ueber Elise H. sprechen wir einmal. Wie ist mir die Sache |4| mit der Frau K. leid – niemals empfehle ich wieder Jemanden dahin.
Möchtest Du Dir denn nicht einmal die Geschichte i. Bayreuth ansehen? man soll doch Alles Epoche machende kennen lernen. Ich thäte es sicher, wenn ich es icognito [sic] könnte. Ginge ich aber hin, so würde dies von den Wagnerianern <alls> als Gesinnungsaenderung in alle Blätter ausgeschrien, und, das geht nicht. Meine Gesinnung über diese musikal Krankheit ┌u. doppelte Demoralisation┐ steht zu felsenfest.
Eugenie ist bereits a. d. Obersalzberg mit der Fillu. Ach wären wir auch schon dort.
Du erfährst den Tag unserer Ankunft i. München.
In alter Treue grüßt Euch Alle (mit mir auch Marie)
Deine
Clara.
Verzeihe die halben Bogen, ich hatte ein Tinten-Malheur, konnte aber nicht noch einmal Alles schreiben.
Heute ist Vorlesung von Levinski <und> – wir gehen natürlich hin – das sind wieder eine Meister-Leistungen! –
Denkst Du nie daran Dir ’mal die Sache in Bayreuth anzusehen? ich meine, kennen lernen sollte man doch Alles. Ich kann es nicht, weil erstlich ein Jeder meine Gesinnung darüber kennt, u. nun, käme ich, alle Blätter darüber schreiben würden, und es zu Gunsten Wagners auslegen als Gesinnungsaenderu[ng.]

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Franzensbad
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
719-722

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 232
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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