23.01.2024

Briefe



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ID: 27342
Geschrieben am: Donnerstag 05.06.1828
 

In einer schönen Junynacht ging ein Jüngling stumm u. gedankenvoll durch den blühenden Frühling: die Blumen schlummerten sanft: eine verlorne Nachtigall fuhr wie aus holden Träumen mit ihren Tönen und den schlummenden Blüthen u. verwehte Abendphälanen zitterten noch stumm und die Rosenknospen an der blendenden Marmorstatue. Im ruhig schlafenden Dörflein drüben schlug es zwölf Uhr: da klang es oben unter den Sternen u. der Stern sprach: heute ward sie geboren: so möge denn keine Wolke ihre Seele trüben u. ein Stern leuchte schimmernd durch jede Nacht. Die Rosen wachten unten auf u. zitterten u. eine Rose sprach: wir sind die Töchter der Sterne auf Erden u. das Ebenbild, der, die heute ward: so möge sie ewig lächeln, wie ich u. jeder Tag bringe ihr eine Rose, aber ohne Dornen. Da flog der Engel der Töne im Westen auf u. ein langgehaltener, sanfter Ton sprach bebend wie eine Harmonikagloke: heute kam sie an’s Licht, die Schwester der Töne: so sey ihre Seele ewig rein u. klar, wie ich u. wenn sie weint, so will ich zu ihr fliegen u. alle ihre Thränen lächelnd abtroknen. Der Gott der Liebe zitterte im Osten auf u. sagte: was soll ich ihr denn geben? denn alle Menschen lieben sie ja schon – – Da kam geflügelt, wie ein lächelnder Zephyr der Traum u. lispelte wie im Traume: jeder ihrer Schmerzen sey ein Traum u. jede Thräne möge fern von ihr seyn u. nur die Freudenthräne nicht – Und als alle Töne ausgezittert hatten u. die ganze blühende Schöpfung wie ein erwachter Säugling lächelte u. wie ein sanftes unendliches Beben, wie ein Rauschen des Bergfalls oder wie eine milde Entzükung durch Knospenmay der jungen Natur ging, da schaute der Jüngling wie verklärt zum Himmel u. zu den Sternen auf u. sagte nur wehmüthig zu sich: wär’ ich ein Stern, ich wollte ihr leuchten, wär’ ich eine Rose, ich wollte ihr blühen u.s.w. u. er weinte, daß er nichts von allem diesem war u. daß er nichts geben konnte, als Wünsche: aber er wünschte ihr Alles, weil sie Alles verdiente – – – – – – – – – –

  Absender: Schumann, Robert (39225)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Carus, Agnes (40662)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 21
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Korrespondenten in Leipzig 1828 bis 1896 / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller, Eva Katharina Klein und Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2025
ISBN: 978-3-86846-031-5
128f.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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