23.01.2024

Briefe



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ID: 2870
Geschrieben am: Mittwoch 19.04.1848
 

Berlin, 34 Oranienburgerstraße d 19. April 48.
Ich hatte, hochverehrtester Herr, in der That mein Lied schon in den Strudeln dieser wild aufwogenden Zeit verschlungen geglaubt, und hatte mich ruhig darin ergeben, wie denn Resignation jetzt eine unserer Haupttugenden werden muß, wollen wir nicht ganz zusammenfallen, als mich Ihr werthes Schreiben vom 10t ds – ich erhielt es erst am 15t, da es erst am Tage zuvor dort zur Post gegeben war – um so angenehmer überraschte.
Ich wünschte mein musikalisches Urtheil wissenschaftlicher begründen zu können als ich es vermag, um meine Ansicht über Ihre Composition, daß sie charakteristisch, schwungvoll, melodisch, schön im Satze ist, zu einer für Sie werthvolleren machen zu können. Ihrem Zweifel, ob sie populär werden, d. h. ob sie sich eine Beliebtheit bis in die weitesten Kreise des Volkes hinaus erwerben möchte, wage ich um so weniger mich mit Bestimmtheit entgegenzustellen, als er von einem unserer ersten Kunstkritiker ausgesprochen wird. Die Composition der beiden ersten Verszeilen scheint mir vollkommen alle betreffenden Erfordernisse zu haben, die fernere ist vielleicht etwas zu kunstvoll für ein Volkslied, ungeachtet sie diesem Umstande große Schönheiten dankt, und dies möchte ich z. B. von einigen Figuren der unteren Stimmen behaupten. – Aber indem Sie das Lied vierstimmig setzten, haben Sie zugleich einen gewissen Anspruch auf eine Kunstgeübtheit der Vortragenden gemacht, und da mit einer solchen ein einigermaßen ästhetisch gebildeter Kunstgeschmack verbunden zu sein pflegt, so möchte sich die Composition gewiß in Kreisen in welchen man überhaupt Quartett zu singen weiß, und deren Zahl ist nicht klein, Eingang und die gebührende Anerkennung und Verbreitung zu verschaffen wissen. Es hat mich daher ordentlich erschreckt als ich las, daß Sie an Druckenlassen vor der Hand nicht dächten. Wozu hätten Sie Sich denn die Mühe genommen, ein Lied zu componiren, daß eben auf den Moment berechnet ist, und so zu componiren, daß es gewiß Ihren musikalischen Ruf nicht schmälern wird? Nein, von diesem Vorsatz müssen und werden Sie abgehen, verehrtester Herr! – Und was mich betrifft, so will ich nur darauf aufmerksam machen, daß, nachdem Sie mir nun die Freude und Ehre erwiesen haben, mein Lied zu componiren, ich es nicht einmal irgend welchen Kreisen hier mittheilen kann. Denn wie wenige Abschriften ich auch davon geben möchte, so kann ich mich doch nicht verantwortlich dafür machen, daß nicht von da aus weitere Abschriften ausgehen, und daß zuletzt durch irgend einen Misbrauch Ihr Eigenthumsrecht verletzt würde. Ich muß es daher ruhig in den Schreibtisch legen, und das wird doch nicht Ihre Absicht sein. Es in Leipzig zu verlegen wird Ihnen, der Sie diesem Centralpunkte des deutschen Musikverlags so nahe sind, und bei Ihrem musikalischen Rufe, unschwer werden. Ich verzichte auf jeden pekuniären Vortheil dabei um so mehr, da ich der weiteren Verbreitung in dieser geldarmen Zeit wegen einen möglichst billigen Verkaufpreis wünschte, und ich würde mir nur 15 bis 20 Freiexemplare vorbehalten, die aber auch mit möglichster Rücksicht auf die ⎡weitere⎤ Verbreitung des Werkes verwendet werden sollten. Ich bitte, melden Sie mir recht bald, daß Sie meine Bitte gewähren, und, wenn dies, thun Sie gefälligst schleunigst zur Sache. Wie aber auch Ihre Bestimmung ausfalle, nehmen Sie meinen gefühltesten Dank! – Doch jedenfalls erfreuen Sie mir [sic] recht bald mit einer Antwort deshalb! – Sie haben also die schöne, sanfte Dulderin Cecile Mendelssohn kürzlich gesehn. Ich leider noch nicht in ihrem Wittwenstande! Sie wurde vor kurzem auf einen Tag hier erwartet, damals aber trat ein Unwohlsein ihrer Kinder hindernd entgegen. Ob sie seitdem hier gewesen weiß ich nicht, denn jetzt ist in der ohnedies so weitläuftigen Stadt alles noch mehr auseinandergerissen als sonst. – Ich darf sagen, ich habe in Felix meinen besten Freund verloren. So theilnehmend für meine größten wie für meine kleinsten Interessen war Niemand für mich. Sein Tod zermalmte mich fast. Aber jetzt rufe ich: wohl ihm, daß er ruht! – Sein so geordneter Geist wäre aus den Fugen gekommen in dieser Wirrsal! – Wohl auch seiner Schwester, einer mir gleichfalls überaus lieben Freundin, daß sie nicht mehr ist! – Es wäre ihr nicht besser gegangen, als ihm! – Das Leipzig auf der Adresse war ein lapsus calami, wegen dessen ich um Entschuldigung bitte, da ⎡ich⎤ bei unseren hiesigen Wirren auch sein werde. Wie könnte man da klaren Sinnes bleiben! Die Aufregung nimmt zu statt abzunehmen. Die Massen herrschen soviel als sie eben mögen. Bis jetzt halten sie im Ganzen ein gewißes Maaß; aber wir können immer nur sagen: bis jetzt! Manche der wesentlichsten Verhältnisse haben sich darum völlig vernichtend gestaltet. Es geht uns mit dem ersehnten Gotte Freiheit wie der Leda mit ihrem Gott-Buhlen. Als er ihr urplötzlich in seiner wahren Gestalt erschien, war’s um sie geschehen.
Gott befohlen!
Ihr
ganz ergebenster
J Fürst

  Absender: Fürst, Joseph (509)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Dresden
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 17
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1832 bis 1883 / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein und Thomas Synofzik / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-028-5
183ff

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 19 Nr. 3464
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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