Verehrter Herr!
Von seltenen Fällen des Schicksales getrieben, wage ich mich an Sie als Vorstandt des Chorgesang Vereins, mit einem bittenten Vorschlag zu wen¬den, gewiß nicht um Almosen zu erpressen, sondern durch gute höchst billige Arbeit in unbeschreiblicher Lage mir zu helfen! Als Einleitung die¬ser bittenten Belästigung, berühre ich um Ihre schätzbare Zeit nicht zu stöhren nur in Kürze, wie ich noch im 53.ten Jahre durch ein Falliment und späthern unbewährten Engagement nach Moskau, in das härteste Leiden stürzte; welches durch vorjährigen Tod meines 23.jährigen tallentvollen Sohnes, der Stütze unsers Alters, wohl auf höchste Spitze getrieben wur¬de, zumal ich in der mir gleichbleibenden Erwerblosen Zeit, mit den Mei¬nen oft bittern Mangel fühlte; wobei mich Jetzt, wo mein jüngster Sohn confimirt werden soll, ohne noch auch nur die dürftigste Bekleidung zu besitzen, obschon die Einsegnung nahe ist; um so mehr höchste Sorge niederbeugt, als ich und auch meine Frau die beßern Kleidungsstücke, bei dem hier so unendlich theuren Begräbniß verpfänden mußten und daher das Kind nicht begleiten können, obenein aber wegen den Zinß von Wein¬acht bis Ostern, der pränumeranto eingegangen und jetzt auch verfallen ist, sehr gemahnt werden.
w. S. g. u.
|2| In dieser Lage, wo ich um so mehr das Vertrauen hege, vielleicht kei¬ne Fehlbitte auszusprechen, als ja bei Mitmensch[en,] die Gefühl für edle Harmonien besitzen, sicher auch eben so edle Herzen schlagen, bitte ich Folgendes zu beherzigen.
Gewiß die schönste Zierde eines jeden Vereins, selbst in späth[en] Jahren als die intereßanteste Erinnerung früherer Zeit, ist eine kleine Gal¬lerie der getrofensten Portraits der Mitgliede[r,] die ich, sofern die Mehr¬zahl des werthen Vereins meiner Bitte entspricht, in nur ausgezeichnet schönen Farbigen Daguerrotip Portraits, das Stück zu den nie wieder so billig zu erhaltenten Preiß von 20 Ngr. höchst befriedigend liefern kann, wenn die gütigen Theilnehmer m[ir] zur Hälfte Jetzt die Hälfte des Ho¬norares mit 10 Ngr. vertrauen wollen. Selbst denen welche dem Portra[i]ti¬ren nicht geneigt sein sollten, könnte ich bei Vertraue[n] dieser Bitte denoch durch Arbeit vergeltent dankbar sei[n] wenn ich mich erbiete, da ja Arbeit keine Schande ist, für diese Hülfe ihr Schuhwerk in warmer gang- waßerdichter haltbarer Besohlung nach eigenthum|3|licher Weise, mit Sohlen von Cautschuk und gutta Percha, ein halb Jahr lang in beßten Zustandt zu erhalten. Ich würde mich auch hierzu auf längere Zeit erbieten, doch folge ich im August bis wohin ich erst völlig geordnet sein kann, einem Engagement nach New York, durch den Präsident Consul Kunhardt dort um so freudiger, da hier nur Aussicht zum verhungern vorhanden ist.
Ihre geneigte gütige Ansicht erlaube ich mir in den letzten Tagen dieser Woche erbitten zu laßen, und verharre Ihre Großmuth einer ge¬neigten Theilnahme, auch jenseits des Meeres hochpreisend mit größter Hochachtung
ergeben
Ottomar Herzberg,
Ostraallee No. 20. links
Seitengebäude 1. Trepe
Dresden d. 20. März 1850.