Am 3ten
Hochverehrter Meister,
Seit einigen Tagen bin ich mit Ihrer verehrten Klara in Danzig, einer wunderbar alterthümlichen Stadt, die mir der vielen schönen Gebäude wegen und in ihrem eigenthümlichen Charakter sehr gefällt. Man fühlt sich recht in Bach’sche Stimmung versetzt; auch haben wir viele seiner Violin-Sonaten gespielt, mit Ihrer Begleitung, die ich immer noch lieber gewinne, je öfter ich <S> sie spiele; welche herrlichen Harmonien haben Sie zu den Adagios erfunden, oder besser empfunden, lieber verehrter Meister. Könnte ich Ihnen doch einen der langsamen Sätze vorspielen! Johannes hat mir geschrieben, wie freundlich Sie meiner gedacht hätten, als der glückliche Freund Sie besuchte; das müssen schöne Stunden gewesen sein mit Ihnen, und ich habe in der Ferne recht mit Johannes mich gefreut. Könnte ich Sie doch auch bald wieder einmal sehen! Nun vielleicht; denn ich habe in der letzten Zeit durch die Gnade des Königs von Hannover einen sehr langen Urlaub erhalten, und die erste Zeit desselben werde ich jedenfalls am Rhein zubringen. Ich werde nun mehrere Jahre ganz meinen musikalischen Studien und Neigungen leben können; das ist mir ein hohes Glück, denn ich fühle sehr große Lücken in meiner künstlerischen Ausbildung. Auch denke ich mit großer Freude an ein längeres Zusammenleben mit Johannes, in Ihrer und Ihrer verehrten Frau Nähe. Ich habe Ihre Compositionen durch Ihrer Klara Spiel erst recht verstehen lernen, so sehr mein <e>Violinspieler-Auge Ihre Harmonien oft gelesen und in sich aufgenommen hatte. Sie spielt so poetisch und voll hoher Geistesenergie! Uebermorgen geben wir hier ein zweites Concert, worin Ihre Klara das Es dur Concert und ich das D dur Concert von Beethoven spielen. Ich werde das Klavier-Concert dirigiren und will dabei recht an Sie denken, theurer Meister!
Von Herzen ergeben
Joseph Joachim
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