23.01.2024

Briefe



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ID: 3065
Geschrieben am: Dienstag 28.12.1847
 

Aufforderung
zum
Beitritt zu dem Cäcilien-Gesangverein.
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Seit mehr denn zehn Jahren mit dem Studium älterer Musik fast aus¬schliesslich beschäftigt und, wie ich mir zu behaupten getraue, mit deren Literatur nicht ganz unbekannt, bin ich in den Besitz einer zwar nicht grossen, doch gewählten Sammlung zum Theil seltener Manuscripte – alle von den bedeutendsten Meistern herrührend – gekommen, einer Samm¬lung, welche namentlich durch die jüngst vollendete Reise über Wien nach Italien um ein Beträchtliches vermehrt worden ist. Es ist nun stets mein eifrigster und sehnlichster Wunsch gewesen und wird es wohl auch mein Lebelang sein und bleiben, die Schätze, welche die musikalische Literatur in solch wahrhaft unglaublicher Menge und Schönheit aufzuweisen hat, dass man über die Fruchtbarkeit früherer Jahrhunderte nur staunen kann, nach und nach einem gewählteren Publicum durch eine möglichst voll¬endete Darstellung vorzuführen und dadurch gewissermassen wieder ins Leben zu rufen. Weit entfernt, daraus eine übel angebrachte Antiquitäten¬krämerei oder gar Sonderlingsthuerei zu machen, sondern nur den einen hohen Zweck ins Auge fassend, der Kunst im höheren Sinne förderlich zu sein, bin ich der festen Ueberzeugung, dass Schöpfungen dieser Art, wie wir sie seit mehreren Jahrhunderten im Fache der Kirchenmusik und überhaupt der ernsten Musik vorliegen haben, einen Rang einzunehmen im Stande sind, der ihnen trotz mannichfacher, höchst erfreulicher Be¬strebungen tüchtiger Tonkünstler und Musikkenner, noch nicht allgemein genug eingeräumt worden ist. Während in allen andern Künsten mit dem grössten Eifer ein historisches Studium der älteren Meisterwerke betrieben und begünstigt, ja als die unentbehrlichste Grundlage zur Veredelung des Geschmackes betrachtet wird, während Künstler wie Laien keine Gele¬genheit verabsäumen, sich mit den vollendetsten Kunstschöpfungen, über welche die Nachwelt noch nach Jahrhunderten staunen wird, bekannt und vertraut zu machen, sieht man leider zur grossen Betrübniss den Sinn für ernste religiöse, klassische Musik, unterdrückt durch die Seichtigkeit und selbst Frivolität moderner Compositionen, immer mehr dahinschwinden. Wenn auch Ausnahmen und Bestrebungen entgegenwirkender Art nicht fehlen, wenn gerade die besten Tonkünstler unserer Zeit auf das Studium der Alten gebaut haben, wenn Männer wie Thibaut (in seinem unver¬gleichlichen Schriftchen über „Reinheit der Tonkunst“), v. Kiesewetter, v. Winterfeld und andere mit Wort und That |2| der Sache zu dienen für Ihre Pflicht gehalten haben, so ist doch leider nicht zu verkennen, dass sie noch viel zu sehr vereinzelt dastehen und deswegen auf das allgemeine Ganze auch nur einen verhältnissmässig geringen Einfluss üben konnten. Welche Wirkung aber auch noch heut zu Tage Werke dieser Gattung in gewählter Zusammenstellung und in unverfälschter, möglichst vollende¬ter Darstellung hervorzubringen im Stande sind, davon haben neuerdings wieder die berühmten Concerte des Prinzen von der Moskwa in dem mo¬dern gesinnten Paris, in einem Lande und in Kreisen, die man bisher für derartige Eindrücke für wenig empfänglich zu halten pflegte, einen glän¬zenden Beweis geliefert, wenn anders man den allerdings vortrefflichen Berichten darüber Glauben schenken darf.
Wenn gleich es nun auch nicht im Entferntesten in meiner Absicht liegen kann, mit so reichen Kräften und Mitteln irgend einen Vergleich zu beanspruchen, so kann ich doch nicht unterlassen, meine einmal gewon¬nene Ueberzeugung, so weit es meine geringen Kräfte gestatten, durch die That zu beweisen, und erlaube mir daher zur Gründung eines Verei¬nes für Chorgesang ergebenst einzuladen.
Die wenn auch beschränkte, doch erfreuliche Wirksamkeit des frü¬heren Cäcilienvereines, den ich zu leiten die Ehre hatte, lässt mich kei¬nen Augenblick zweifeln, dass der Boden für ein solches Unternehmen in Dresden günstig genug ist, und dass sich Männer und Frauen in hin¬reichender Anzahl finden werden, welche mit Wärme und Eifer sich den Zwecken eines derartigen Vereines anzuschliessen bereit sind. Hat sich aber erst einmal unter allen Mitwirkenden durch sorgfältige Einübung von Meisterwerken der obenbezeichneten Art eine genauere Kenntniss des Gegenstandes, und in Folge dieser eine gesteigerte Theilnahme und Liebe für denselben erzeugt, so wird es dann gewiss Allen, so wie mir, ein Bedürfniss sein, durch kleinere oder grössere Aufführungen auch auf einen weiteren Kreis einzuwirken zu suchen. Zu diesen Hoffnungen be¬rechtigen mich, wie schon gesagt, frühere Erfahrungen, so wie die bereits mehrfach an mich gelangten Zusicherungen thätiger Theilnahme.
Ueber die äussere Gestaltung des Vereines, welcher gleich der früher von mir geleiteten Gesellschaft den Namen Cäcilienverein führen soll, werden noch ein paar Worte nöthig sein.
Das schon früher dem älteren Cäcilienvereine überlassene sehr güns¬tige Local ist mir auch für die Zukunft von meinem Oheim, Herrn Kö¬nigl. Sächs. Münzgraveur Krüger, auf das Bereitwilligste zur Verfügung gestellt worden, wodurch ein Punct von nicht geringer Schwierigkeit sich erledigt.
Eben so freut es mich, das vom älteren Cäcilienverein mir freund¬lichst übermachte werthvolle Notenarchiv dem neuen Verein zur Benut¬zung anbieten zu können.
Auch der Tag der Versammlungen soll, wie früher, der Freitag von 6–8 Uhr Abends bleiben, und es soll dabei die Einrichtung getroffen werden, dass allemal am letzten Freitag eines Monats eine Repetition der vorgehabten Stücke stattfinden wird, welche uns einen reineren und von Unterbrechungen freieren Genuss verschaffen soll, als die gewöhnlichen Uebungen gewähren können.
Die ungestörte Verfolgung des Hauptzweckes erheischt, dass nur wirklichen Mitgliedern der Zutritt zu den Versammlungen gestattet werde. Es versteht sich indess von selbst, dass Herren und Damen, welche den Eintritt in den Verein beabsichtigen, bevor sie ihren Beitritt erklären, zu ein- bis zweimaligem Besuch willkommen sein werden.
|3| Zu gleicher Zeit muss ich hinzufügen, dass bereits einige Freunde der Tonkunst den Wunsch ausgesprochen haben, sich, wenn auch nicht als thätige, d. h. singende Mitglieder, doch durch ihre Gegenwart bei den vor¬erwähnten Repetitionen zu betheiligen. Auch diese jedoch, deren Anzahl überdiess aus Rücksicht auf das Local und andere Verhältnisse eine ganz beschränkte bleiben muss, werden als wirkliche Mitglieder zu betrachten sein, da sie sich bereit erklärt haben, ihren jährlichen Beitrag als solche zu entrichten.
Dieser eben erwähnte Beitrag der Mitglieder soll, mit Rücksicht auf die durch die Umstände dargebotenen Vortheile und Erleichterungen auf 2 Thlr. jährlich oder 15 Ngr. vierteljährlich festgestellt werden. Damit werde ich nach den früheren Erfahrungen im Stande sein, die erforderlichen laufenden Ausgaben zu bestreiten.
Der Austritt kann nur nach vorhergegangener vierteljähriger Kündi¬gung geschehen.
Der Subscriptionsbogen zur Beitrittserklärung wird in diesen Tagen in Umlauf gesetzt und von nächstem Freitag an in jeder Versammlung des Vereines ausgelegt werden.
Die Constituirung so wie die erste Versammlung des Vereines wird nächsten
Freitag, den 7. Januar Abends 6 Uhr
in der Wohnung des Hrn. Münzgraveur Krüger (Münzgebäude hinter der Frauenkirche, zweiter Hof, I Treppe) stattfinden, wobei Alle hierdurch Eingeladene höchst willkommen sein werden.
Ich schliesse diese Aufforderung zum Beitritt zu meinem Verein mit der Versicherung, dass ich Allen, welche sich der Förderung meiner Zwe¬cke freundlich annehmen wollen, sehr dankbar sein werde, so wie ich eine gleiche Aufforderung auch gern Denen werde zukommen lassen, welche mir als Freunde unserer Bestrebungen, die zu thätiger Mitwirkung geneigt sind, bezeichnet werden dürften.
Dresden, den 28. December 1847.
L. Otto Kade.
(Neuegasse No. 17.)
|4| An
Hr. Musikdirector Schumann
Wohlgb.
frei
Reitbahngasse,
No 20, 1te Etage.
Allhier

  Absender: Kade, Otto (13287)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 22
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Dresden / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Carlos Lozano Fernandez und Renate Brunner / Dohr / Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-86846-032-2
803-807

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 19 Nr. 3422
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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