23.01.2024

Briefe



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ID: 3343
Geschrieben am: Montag 17.07.1848
 

Lieber Freund,
Sie haben mir mit Ihrem Briefe eine große Freude gemacht; die Notiz der Aufführung – u demnach Beendigung des Werkes – hatte ich schon durch Whistling erfahren; aber es war mir lieb, Näheres zu hören. In der Zeitschrift habe ich nur eine Notiz, daß die Aufführung Statt fand, gegeben, sonst nichts, Ihrem Sinn, glaube ich, gemäß. Ihre Befürchtung, „Musik zu solcher Poesie“ theile ich nicht. Der ganze Epilog ist schon äußerlich musikalisch gedacht, u der Inhalt ist das Reich der Musik. Er muß componirt werden, wenn er seine volle Wirkung erreichen soll. Die Begeisterung dieses Epilogs, dieser erhabene Aufschwung ist nur für den tiefer Blickenden. Die Meisten werden ihn trocken, ja spielend u läppisch finden. Die Musik erst setzt das, was im Inneren lebt, in die Erscheinung. Es war Göthes in späteren Jahren immer mehr hervortretende Eigenart, das, was in ihm lebte, keusch zu verschließen u vor Profanirung zu bewahren. So läßt er mehr errathen, als daß er es wirklich sagte. Die Andeutungen von Deiks sind nicht übel. Es ist damit weiter nichts Besonderes gesagt, aber in der Kürze, die hier nothwendig ist, ist es auch kaum möglich, denn man weiß nicht, wo man anfangen u aufhören soll bei der Masse des Stoffes. Sie kennen nicht die Briefe von Carus über Göthe (eine kleine Broschüre, vor ohngefähr 10 Jahren erschienen) der 3te Brief, über das Ewig Weibliche, wird Sie interessiren. – An die Verwandtschaft mit der Peri haben wir auch schon gedacht, freilich bewegt sich Faust Epilog von Haus aus in der Sphäre, worauf die Peri hinarbeitet, das Ganze ist eine höhere Region. Ich kenne nichts, was diesem Epilog an himmlischer Hoheit gleich käme, nur Dantes Paradies damit zu vergleichen. Ich freue mich, auf die Aufführung hier u denke, daß das Stoff zu einem schönen Bericht geben wird.
Auch Ihr Urtheil über Palestrina hat mich gefreut, u macht Einem Muth, neben den vielen Dummheiten, die man hören muß. Wäre doch erst die Sache durchgekämpft. Dresden bringt jetzt mehr derartiges. Hier, in Mitten dieser Weltlichkeit, ist es nicht möglich, für die alte Größe zu interessiren. Da Sie einen so zahlreichen Chor haben, um 8stimmiges aufzuführen, müssen das Miserere von Leon. Leo auch 8stimmig machen (wozu ich die Stimmen habe) das halte ich für das Größte, was mir von italienischer Musik bekannt ist. Es ist die Hoheit Palestrinas, aber seine Herbheit gemildert durch den sinnlichen Glanz des späteren Italiens, Raphaelisch. Wie gefällt Ihnen der Psalm von Clari, schreiben Sie mir einmal darüber, auch über Anderes, es interessirt mich sehr, da ich bis jetzt noch Niemand gefunden habe, mit dem ich darüber hätte sprechen können. Die Wenigen, die die Sachen können, sind Antiquare, die sich um den Inhalt der Werke nicht bekümmern.
Gades Comala besitzt meiner Ansicht nach die Vorzüge der Gadeschen Werke, die Gesundheit u Frische, die Darstellung aus dem Vollen u Ganzen usw., aber er besitzt in der Behandlung der Singstimmen nicht die gleiche Gewandheit, wie im Orchester. Die Singstimmen sind etwas steif u ungelenk, dazu kommt eine gewisse, epische Breite, möchte ich sagen, die lebendiger Beweglichkeit feind, nur langsam von der Stelle schreitet. Comala kann nicht populär werden.
Der Magdeburger ist ein kleines Kerlchen, das sich noch gar nicht herausgemacht hat, u das mich mit seinem Aufsatz nicht wenig überrascht hat, ein junger Jurist, Kretschmann. Der Aufsatz ist vortrefflich. Hinsichtlich Gade stimme ich mit Ihnen überein. Meierbeer, – ich glaube ich habe es auch einmal in der Zeitschrift gesagt – erinnert mich an Victor Hugo, Georg Sand, insbesondere an Biard. Er erreicht keinen der Genannten an Bedeutung, ich gebe Alles zu, was man zu seinem Nachtheil sagt, die innere Hohlheit, die Unsittlichkeit, kurz, das Widerwärtige der ganzen Erscheinung, muß aber an ihm die französische Kunst der Charakteristik, der von Außen durch Beobachtung gewonnenen, an ihm anerkennen, so wie den Schritt, daß er die Musik aus dem abgeschlossenen Kreis des Individuellen versucht hat hinauszuführen auf einen größeren Schauplatz, wenn schon dieser Schritt noch einmal gethan werden muß, da er ihn nicht durch künstlerische Inspiration vollbrachte. M.s Erscheinung ist schöne Häßlichkeit, oder häßliche Schönheit, insoweit ich andeuten will, daß bei aller Verkehrtheit wieder etwas in ihm ist, was interessirt. Ich habe die Hugenotten nicht mehr lebendig vor mir, es ist schon eine Reihe von Jahren, daß ich sie nicht gesehen habe, ich habe vier [?] Mal den Anlauf genommen, sie zu sehen, bevor ich mich entschließen konnte, bis zum Schluß zu bleiben, war aber doch am Ende günstiger gestimmt.
Ganz eigen geht es jetzt mit Krügern. Ich habe mich in seine Seele hineingeschämt über seinen Artikel in der Allgemeinen. Ihm ist der Boden unter den Füssen entzogen. In seiner Abgeschlossenheit träumte er in alten Zuständen, die unwiderbringbar dahin sind, u vermag nun die Gegenwart u ihre Stimmung nicht mehr zu begreifen. Wir sehen an ihm, was wir an so vielen geistreichen Männern jetzt sehen, daß sie plötzlich alt geworden sind. Wenn doch aber endlich einmal die Schriftsteller über Musik zu der Einsicht kommen wollten, daß das Componiren für sie nicht paßt, reiner Zeitverlust ist, während sie, wo so viel zu thun ist, ihre Kraft besser anwenden könnten. Sein Quartett halte ich für höchst traurig, u es ist schlimm, den Stab über ihn als Componist brechen zu müssen. Schreiben Sie mir doch darüber, ob Sie etwa Besseres herausgefunden haben.
Die Zeitschrift leidet natürlich auch mit unter den Zeitverhältnissen; im vorigen Jahr war das Intelligenzblatt auf das doppelte gestiegen, jetzt ist es gar nichts. Daß Friese schon seit Wochen schwer krank ist, wissen Sie wohl. Er erhohlt sich jetzt etwas. Schicken Sie doch wieder ein Mal einen Beitrag, wenn auch etwas so Harmloses, wie neulich. Die Parteigestaltung tritt immer entschiedener heraus, u dann ists doch gut, wenn wir zusammenstehen.
Ihr Brendel

den 17ten Juli.

  Absender: Brendel, Franz (261)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 5
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik, Axel Schröter und Klaus Döge / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2014
ISBN: 978-3-86846-016-2
272-275

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 19 Nr. 3489
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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