23.01.2024

Briefe



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ID: 3392
Geschrieben am: Donnerstag 28.02.1850
 

Herrn Dr. Rob. Schumann. (Offene Einlage.)
Sehr verehrter Herr Doctor!
Den Zeilen Ihres Freundes, des Herrn Professor Hübner, bin ich so frei einige Worte beizulegen. Es geschieht für den Fall, daß Sie noch Zeit und Neigung fänden, den beiliegenden Text zu der hiesigen Lessingfeier dem Antrage und Wunsche des hiesigen Comité gemäß (der aus den in der Anlage genannten Männern besteht) in Musik zu setzen und mit Ihrem hiesigen Chore am 14ten März d. J. auszuführen. Sollten Sie, zu meiner lebhaften Freude (trotz der so kurzen Zeit) darauf eingehen, so erbietet sich der Comité, wenn nöthig, die Feier noch 8 Tage länger zu verschieben. Die Cantate soll dann den Festabend eröffnen, und man denkt, sie werde etwa ½ Stunde einnehmen. Ich habe die Worte so knapp und dabei so sorgfältig als möglich gearbeitet und es dünkt mich schwer möglich, die Herrlichkeit dieses Mannes nach ihren Hauptrichtungen noch zusammengehaltener in einer Cantate darzustellen. Wir bringen noch zwei Vorschläge, wenn die Zeit bis zur Aufführung auch mit der Verlängerung zu kurz gemessen sein sollte. Der erste: Nur den ersten Chor „Er stand vor Gott“ (5 Zeilen[?]) und den Schlußchor „So ist er der Herrlichen einer im Licht“ (in ihm den 2ten Theil „Das Kind, deß unschuldvoller Blick“ vielleicht als Arie oder Duett mit wiederholendem Chor) musikalisch auszuführen, den größern mittleren Theil
„Und Gottes Stimme“ bis – „weben“ aber nur melodramatisch zu behandeln. Fr. Bayer-Bürck oder Hr. Ed. Devrient würden dann wohl den Vortrag übernehmen. Der zweite Vorschlag ist: Nur die 1ste Seite des Textes (Chor mit Recit) zu setzen, aber das Recit. nicht als solches, sondern ebenfalls chorartig zu behandeln, welches Letztere mir aber freilich durchaus ungeeignet erscheint. Man glaubte indeß von einigen Seiten, es liege in diesem einleitenden Theile, besonders in dem bekannten eig’nen Ausspruche Lessing’s, viel Wirkung und er genüge zur Noth schon für sich, ohne den übrigen Text. Meine Ansicht ist dies nicht, da der Ausspruch sich auch auf jeden Philosophen beziehen könnte, u. Lessing für sich allein durchaus nicht charakterisirt, noch weniger seine Bedeutung für uns einigermaaßen bezeichnet, worauf es doch hier ankommt. Indeß überlassen wir dieß Alles natürlich ganz Ihnen, und sind dankbar, auch wenn nur dies geschähe. Einige von den Ueberschriften sollten nur unmaaßgebend andeuten, wie ich mir die musikal. Ausführung, im Allgemeinen etwa dachte. Es versteht sich, daß Sie darin völlig freie Hand haben. Sollten Sie im Versschluß „Fliegt er voran“ den musikal. Ton auf die erste Sylbe legen wollen, so wäre dieß dem Metrum ganz gemäß, wenn auch gegen den Anschein: denn so versetzt denke ich es auch im Lesen.
Vielleicht habe Sie die Güte uns morgen oder übermorgen mit nur zwei Zeilen zu sagen, ob, wie und auf wann unsre Bitte Erfüllung finden kann und soll.
Mit dem Ausdrucke herzlicher Verehrung unterzeichne ich
Dr. Adolf Peters

Dresden, d. 28. Febr. 1850.

[BV-E, Nr. 3853]

[Beilage (2)]

Lessing.
Ein Festgesang.
Chor und Einzelstimmen.
Er stand vor Gott. Frei zu der Wahrheit Schöne
Hat er den Blick gelenkt;
Ihm klangen aus dem Aether Töne,
Die Gott im Menschen denkt.
Er stand vor Gott.
Und Gottes Stimme sprach:
In meiner Rechten aller Wahrheit Tag;
In meiner Linken
Der einz’ge Trieb, des Tages Licht zu trinken,
Der immer rege, wie dich Blendung quäle;
Licht oder Lichtdurst, wähle!
„Laß, Höchster, mich in deine Linke fallen!
Im Kampf nur wächst die Kraft, da reift sie Allen,
Ich kämpfe freudig mit dem Schein;
O Vater, gieb
Den einz’gen Trieb,
Die reine Wahrheit ist für dich allein!“
Wechselgesang.
Was bergt ihr euch in Dämm’rungsgrauen? –
Schon ringt der Held;
Sein Falkenblick aus strengen Brauen
Klärt Wort und Welt.
In Schaaren finstern Angesichtes
Stürzt er, ein Mann;
Mit dem Köcher Apoll’s, ein Bote des Lichtes
Fliegt er voran.
Sieg, Sieg! – Den Feind noch, der ihn gebunden,
Zerblitzt sein Spott;
Da sinkt er, kämpfend mit offnen Wunden –
Er steht vor Gott.
Ein Stück der Ketten, von ihm zerrissen,
Hält noch die Hand,
Die eitlen Sitten und Gewissen
Den Schild entwand.
Stimmen in der Höhe.
Hinweg die Wolkenhülle! –
Der Dornen abgemäht,
Hat Samen goldner Fülle
Er in die Zeit gesät?
Der Cherub der Wahrheit.
Schaut nieder! – Dort des deutschen Geists Gewalten,
Von seinem Arm befreit,
Hier, die er schuf, die ewigen Gestalten
Der schönen Menschlichkeit;
Und der sie führt, er selbst, der Hehre,
Der größte seiner Charaktere!
Die Muse winkt: auf seine Bühne steigen
Zwei Dichterfürsten schon,
Und unabsehbar ist ihr Himmelsreigen
Und Aller Herz ihr Thron.
Welch ein Gefolg! – Das höchste Leben
Seh’ ich im Zukunftnebel weben.
Geisterchor.
So ist er der Herrlichen einer im Licht,
Sie schwanden der Erde, doch starben ihr nicht
Und schlingen mit endlos schaffender Hand
Um Dank und um Liebe das Lebensband;
Sie schweben noch unten und schwebten empor,
Willkommen, ihr Sel’gen, im ewigen Chor!
Das Kind, deß unschuldvoller Blick
Den Himmel abgeglänzt,
Gesenkt in’s Mutterherz zurück,
Von Engeln wird’s bekränzt;
Der Mann, der streitend Bahnen wies
Zum neu errung’nen Paradies,
Der hoch die Welt gebenedeit,
Er steht vor Gott in Ewigkeit.

Dresden, 23. Februar 1850. Adolf Peters.

  Absender: Peters, Adolf (13370)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort:
  SBE: II.6, S. 555-559

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 21 Nr. 3853
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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